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Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Autoren: John Friedmann
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1. Kapitel
    Schon am smaragdgrünen Chiemsee war der verlockend warme Duft des Südens zu spüren. Trocken, leicht süß und so verführerisch sinnlich.
    Carlo jubelte innerlich, endlich! Selbst, wenn man aus dem in vielerlei Hinsicht so verwöhnten München kam, und dann noch dazu aus dem selbstverliebten Schwabing, wo es fast an jeder Ecke einen cremigen Cappuccino gibt, meinte er mit jedem Kilometer, den sie sich dem Brenner näherten, den dampfenden Kaffee in der Luft schon schmecken zu können.
    Und dann dieses einzigartige Licht! Die heiße Luft vibrierte. Millionenfach brachen die von der sommerlichen Trockenheit aufgewirbelten Staubteilchen die Sonnenstrahlen in satte Lichtschwerter und färbten so die Strahlen noch rötlicher ein.
    Schon am frühen Nachmittag legte sich über die gesamte Szenerie ein zarter, geradezu erotischer Lichtmantel, als würde die Sonne sanft durch einen dünnen orangefarbenen Vorhang scheinen. Nur ein nackter Frauenkörper ist noch schöner, dachte er kurz.
    Die Felder, die neben der Autobahn an ihnen vorbeiflogen, Weizen, Mais und viele hohe Wiesen, fügten sich zu einem verspielten Muster, entlang einer Farbpalette von Dutzenden Rottönen.
    Die Bäume links und rechts setzten wie genial geschwungene Taktstöcke zu einer Symphonie des Südens ein.
    Und selbst all die banalen Autos vor wie neben ihnen verschmolzen in diesem Licht-und-Schatten-Spiel mit allem anderen zu einem rötlich schimmernden Landschaftsbild. Die Natur war mehr als gnädig und zeigte sich von ihrer großzügigen Seite.
    Carlo blickte sehnsüchtig aus dem offenen Autofenster und schnaufte erleichtert durch. Er wollte diese befreiende Luft atmen, bis in die letzte Pore seiner Lunge aufsaugen und sie dort konservieren für all die anderen verflixten Tage, die ein Jahr sonst so zu bieten hatte.
    »Carlo! Das Fenster! Anna und mir fliegen ja die Haare weg!« Von der Rückbank beschwerte sich seine geliebte Schwester.
    »Bitte Carlo!« Anna war von dem Fahrtwind ebenso wenig begeistert.
    »Das ist der Duft des Südens«, sagte Carlo.
    »Sieht mir eher nach dem Auspuff von nem alten Volvo aus«, bereicherte Elli das Bild auf ihre Art.
    Und sie hatte recht, denn vor ihnen dieselte ein Volvo aus den späten Achtzigern mit seinem Anhänger ebenfalls dem Süden entgegen.
    »Schon gut. Your wish is my command, die Damen.«
    Der Föhn streifte alle Wolken vom Himmel ab und klatschte einem die mächtigen Alpen vor die staunende Nase, dass Carlo schlicht die Spucke wegblieb. Mächtig reihte sich ein stolzer Berggipfel neben den anderen, und zusammen rümpften sie ihre felsigen Nasen über die kleinen dummen Menschen in ihren Blechkisten.
    Sie schienen zum Greifen nah, Carlo hatte gute Lust, sich in eine der sonnengesättigten Almwiesen zu legen oder sich kurz im Schatten einer silbergrünen Bergkiefer abzukühlen.
    Wie konnte man nur woanders leben als in München, wo man schon nach einer halben Stunde dieses herrliche Gefühl von Reisen erleben konnte, fragte sich Carlo. Wo man schneller am Fuß der Alpen war als so manch anderer in seinem Büro. Gemütlich ließ er sich noch tiefer in den Beifahrersitz seines BMW-Oldies sinken, dankbar, vor über dreißig Jahren am richtigen Fleckchen Erde das Licht der Welt erblickt zu haben. Das weiche, durchgesessene Leder ächzte gefällig unter seinem massigen Körper. Das war Musik in seinen Ohren. Gute alte Polstersitze.
    Mit einem genüsslichen Grinsen, gerade so, als hätte er eben schon die erste Piccata Milanese und eine unverschämt gute Flasche Rotwein – vielleicht einen leichten Bardolino? – getrunken, streckte er seine Hand noch einmal hinaus, um die warme Luft und den Windwiderstand bis in seine Fingerspitzen zu spüren. Wie das kitzelte! Herrlich!
    »Erde an Carlo!«, schallte es ihm von hinten wieder in die Ohren.
    Elli hatte es sich mit ihren Tageszeitungen auf der großzügigen Rückbank gemütlich gemacht. Carlo erinnerte sich, dass seine Schwester die SZ schon mit absoluter Hingabe gelesen hatte, als er gerade seine ersten Fußballschuhe schnürte. Von ihren vielen Büchern ganz zu schweigen. Nein, dieses Gen hatten die Eltern ihm vorenthalten. Mochten Elli und er sonst auch einige Gemeinsamkeiten haben, die stattliche Statur, die bayerisch barocken Ohrläppchen, das energische Kinn und das auffallend symmetrische Gesicht – was besonders Elli eine aristokratische Schönheit verlieh –, beim Lesen, da schieden sich ihre Geister.
    Obwohl Elli ihre Zeitung
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