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Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Titel: Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
Autoren: Juergen Kehrer
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ähnliche Erfahrungen gemacht und konnten über viele Dinge ganz entspannt und witzig plaudern. Doch sobald es politisch wurde – und Cordula wurde mindestens einmal am Abend politisch – flogen die Fetzen. Mich störte ihr politischer Rigorismus, sie machte mir Vorwürfe wegen meiner Arbeit. Dass Unternehmer und Versicherungen zu meinen Kunden zählten, in deren Auftrag ich Arbeitnehmer oder Kunden des Betrugs überführte, war für sie blanker Verrat. Nur noch zu übertreffen von der Beschattung fremdgehender Ehefrauen, was mich zum Feind der Frauenbewegung stempelte. Mein Argument, dass mir niemand vierzehn Mal im Jahr einen fetten Betrag aufs Konto überwies, ganz zu schweigen von bezahltem Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Frühpensionierung und Alterssicherung, ließ sie nicht gelten. Und so hatten wir unausgesprochen beschlossen, es bei einem freundlichen Nicken und ein paar Sätzen anlässlich zufälliger Begegnungen im Treppenhaus zu belassen.
    Vor einem Jahr hatte ich sie mit einem knackigen, mindestens fünfzehn Jahre jüngeren Mann auf der Straße gesehen. Der Knabe hatte keinen sehr politischen Eindruck gemacht, dafür besaß er sicher andere Fähigkeiten. Jedenfalls war er mir fortan häufiger über den Weg gelaufen. Bis es vor zwei Monaten einen lautstarken Streit in Cordulas Schlafzimmer gegeben hatte. Ich lag in meinem Bett und konnte fast jedes Wort mithören. Nach den Beschimpfungen flogen Gegenstände gegen die Wände, schließlich knallten Türen. Danach war der Knabe verschwunden.
    Als ich nun hinter ihr die Treppe hinaufstieg, fiel mir auf, dass sie in letzter Zeit die Haare nicht gefärbt hatte. Ein paar graue Strähnen mischten sich ins Dunkelbraun. Und etwas anderes fiel mir ein.
    »Sag mal«, schon bei der Einweihungsparty hatte sie mir das Du angeboten, »du bist doch Kunstlehrerin.«
    »Kunst und Deutsch.« Sie blieb vor ihrer Wohnungstür stehen. »Weshalb?«
    »Leute, die an der Kunsthochschule studiert haben, bleiben im Grunde ihres Herzens ein Leben lang Künstler, oder?«
    »Künstlerin«, verbesserte sie mich. »Ich war in der Bildhauerklasse.«
    »Und du kennst dich bestimmt noch in der münsterschen Kunstszene aus.«
    Sie grinste. »Brauchst du einen Tipp, was du dir an die Wand hängen sollst?«
    »Nein. Ich suche eine junge Künstlerin. Sie ist neu in Münster und malt großformatige Bilder. Wo könnte sie dafür ein Atelier oder so was Ähnliches finden?«
    Cordula überlegte einen Moment. Dann sagte sie: »Hast du Lust, mit mir einen Kaffee zu trinken?«
    Ich erzählte ihr nicht, dass Lenas Vater eine Bank besaß. Ich machte ihn zu einem armen, von dreißig Jahren harter Arbeit gebeutelten Mann, der in seiner kleinen Mietwohnung saß und sich nach der missratenen, herumtreibenden Tochter sehnte, mit der er sich versöhnen wollte.
    Es funktionierte. Cordula empfahl mir, mit der Suche in den ehemaligen Speichern am Hafen zu beginnen, die teilweise zu Ateliers umgebaut und an Künstler vermietet worden seien. Falls ich dort keinen Erfolg hätte, sollte ich zu dem alten Industriegebiet am Hawerkamp gehen, wo die seit vielen Jahren von der Stadt geduldete Subkultur noch immer existiere, da man keinen Investor für das Gelände finde. Einige der Hallen seien ebenfalls zu Ateliers umfunktioniert worden.
    Und weil es irgendwie zum Thema passte, zeigte sie mir anschließend Fotos von den Skulpturen, die sie während ihrer Studienzeit gefertigt hatte. Sie erzählte, wie sie sich Sandstein aus den Baumbergen besorgt hatte und was für eine Schlepperei das gewesen war.
    Zwischendurch schaute ihre Tochter ins Zimmer, begrüßte mich mit einem kühlen Nicken und erkundigte sich, wann es etwas zu essen gebe. Cordula antwortete, sie müsse noch einkaufen, was ihre Tochter zu einem pikierten Naserümpfen animierte.
    Schließlich nutzte ich das Stichwort einkaufen, um meinen Rückzug einzuleiten. Cordula brachte mich zur Tür. »Wann gehen wir denn mal wieder ein Bier zusammen trinken?«
    »Im Moment habe ich furchtbar viel zu tun«, sagte ich bedauernd. »Aber es wird sich bestimmt bald eine Gelegenheit ergeben.«
    Der erste Teil meiner Antwort war nicht einmal gelogen. Nachdem ich meine Tasche in der Wohnung abgestellt hatte, machte ich mich auf den Weg zum Hafen. Ich wollte Lenas Spur verfolgen, solange sie noch warm war. Vor ziemlich genau achtundvierzig Stunden hatten mir Lena und ihr Freund das Bildnis des Dr. Walter Egli übergeben. Je länger ich wartete, desto größer wurde
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