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Die Pfade des Schicksals

Die Pfade des Schicksals

Titel: Die Pfade des Schicksals
Autoren: Stephen R. Donaldson
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1
    Die Last von zu viel Zeit
    T homas Covenant kniete im üppigen Gras von Andelain, als wäre er nach einem Sturz aus äonenweiter Ferne dort aufgekommen. Die Himmel und Zeiten füllten ihn gänzlich aus. Er hatte unzählige Jahrtausende innerhalb der wesentlichen Schöpfungsstrukturen zugebracht, hatte an allen Manifestationen des Bogens der Zeit teilgenommen: Er war so wenig menschlich wie die Sterne und ebenso einsam gewesen. Er hatte alles gesehen, alles gewusst - und versucht, es zu bewahren. Von Anbeginn der Erde bis zum Heranreifen der Erdkraft in dem Land - von den tiefsten Wurzeln der Berge bis zu den fernsten Konstellationen - war er Augenzeuge gewesen und hatte verstanden und hatte gedient. Über die Zeitalter hinweg hatte er sein einzigartiges Ich für die Verteidigung von Gesetz und Leben eingesetzt.
    Aber jetzt konnte er solch unendliche Visionen nicht mehr bewahren. Linden hatte ihn wieder sterblich gemacht. Sein gewöhnliches Fleisch und Blut weigerten sich, seine Macht und sein Wissen, den ganzen Umfang seines Verständnisses zu halten. Mit jedem Schlag seines vergessenen Herzens wurde der Hauch der Ewigkeit und die Ahnungen, die sie mit sich brachte, in ihm hinfortgespült, sickerte wie Schweiß durch seine neue Haut und gingen verloren.
    Und doch war da noch immer mehr in ihm, als er ertragen konnte. Die Last von zu viel Zeit wirkte so tiefgreifend wie eine Orogenese, das sich Bilden neuer Gebirge durch das Verschieben von Kontinentalplatten: Sie setzte seinen gewöhnlichen Verstand unter einen Druck, der anderswo Erdbeben oder tektonische Verschiebungen zur Folge gehabt hätte. Die erzwungene Verwandlung ließ Thomas Covenant verwundbar zurück. Als die Struktur dessen, was er gewusst und verstanden und gedacht und begehrt hatte, in einem ihm so fremd gewordenen Augenblick nach dem anderen einstürzte, wurde sein Denken, das ihn durch ganze Äonen getragen hatte, durch diese Verschiebungen und Erschütterungen auf irritierende Weise gestört.
    Und auch wenn Bewusstsein oder tatsächliches Empfinden ihm noch fern waren, erkannte er, dass er von Bedürfnissen umgeben war - von Menschen und Geistern, die sich versammelt hatten, um Lindens Entscheidungen mitzuerleben. Dunkel ragten die mächtigen Bäume um jene Senke, in der er zwischen den Hügeln von Andelain kniete, vor dem finsteren Himmel auf. Doch ihre Schatten verblassten in dem strahlenden Schein von Loriks Krill, der von wilder Magie brannte, in dem geisterhaften Leuchten der vier Hoch-Lords, deren Anwesenheit die Ausmaße von Covenants Krise definierte, und vor Linden Averys Glanz.
    Zeitlos wie Wachposten - hoch aufragend und majestätisch - standen die toten Lords in den vier Haupthimmelsrichtungen, um die finalen Konsequenzen ihres eigenen Lebens zu beobachten und vielleicht darüber zu urteilen. Berek und Dameion, Lorik und Kevin: Covenant kannte sie so gut - oder hatte sie so gut gekannt -, wie sie sich selbst kannten. Er spürte Bereks Empathie, Dameions Besorgnis, Loriks Kummer und Kevins vehemente Ablehnung. Und er verstand ihre Anwesenheit. Sie waren aus der gleichen Sorge erschienen, die ihn in dieser Nacht von den Gesetzesbrechern hervorgelockt und eskortiert hergeführt hatte.
    Doch als er nun - nur kurz, ganz kurz, zwischen zwei hämmernden Herzschlägen - das Wesen der Hoch-Lords begutachtete, entdeckte er, dass er nicht länger einer der Ihrigen, nicht mehr eins mit ihnen war. Ihre Gedanken waren ihm so altertümlich und fremdartig geworden wie die Sprache der Berge.
    Jedes Pulsieren des Blutes in seinen Adern raubte ihm ein Stück mehr von sich selbst.
    Auch Caer-Caveral und Elena verstand er. Sie verharrten hinter ihm auf dem ansteigenden Rand der Senke: Caer-Caveral in die asketische Aufopferung seiner Jahrhunderte als Andelains Forsthüter gehüllt; Elena kummervoll und mit gebrochenem Herzen wegen ihres blinden Vertrauens, das sie gegen ihren Willen in den Dienst des Verächters geführt hatte. Auch wenn die Gesetzesbrecher die Statur der Hoch-Lords besaßen - Bereks und Dame-Ions machtvolle Größe, Loriks Heldenmut, Kevins Schmerz -, waren sie durch ihren selbst gewählten Tod, ihre freiwillige Beteiligung an den Auflösungen, die Covenants Rückkehr in die Sterblichkeit ermöglicht hatten, in ihrem Wert vermindert worden. Nun hatten sie ihren Zweck erfüllt. Sie blieben im Hintergrund und überließen es Covenant, sich in seinen eigenen Unzulänglichkeiten zu verlieren.
    Wäre er dazu imstande gewesen, hätte er
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