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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister
Autoren: Kevin Brooks
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Rückspiegel. Über dem rechten Auge war die Haut aufgeritzt von einem Stück Sicherheitsglas und die Seite meines Gesichts, wo mich der Hammer erwischt hatte, war dick angeschwollen und rot. Blut sickerte aus der Schramme am Auge und vermischte sich mit dem Regenschleier auf meiner Haut; mein Hemdkragen hatte rötliche Flecken. Gerade als ich ein Taschentuch aus dem Handschuhfach nahm und anfing, mich sauber zu machen, klingelte wieder das Handy. Ich wischte noch einmal über mein Gesicht, legte die Zigarette in den Aschenbecher und schaltete den Anruf auf laut.
    »Hi, Ada.«
    »John?«
    »Ja, tut mir leid, ich bin ein bisschen …«
    »Verdammt, was ist los bei Ihnen?«, unterbrach sie mich. »Sind Sie okay?«
    »Ja, mir geht’s gut. Es war nichts.«
    »So klang es aber überhaupt nicht.«
    Ich griff nach der Zigarette und nahm einen kräftigen Zug. »Wirklich«, sagte ich. »Alles in Ordnung. Ich erzähl’s Ihnen später, wenn ich zurück bin.«
    »Kommen Sie jetzt?«
    »Hm … ist die Mandantin noch da?«
    »Ja.«
    »Okay. Sagen Sie ihr, ich bin in einer Viertelstunde im Büro. Und, Ada?«
    »Was?«
    »Seien Sie nett zu ihr, ja? Reden Sie mit ihr. Machen Sie ihr eine Tasse Tee oder irgendwas … hören Sie?«
    »Ja«, sagte sie gedehnt. »Ich höre. Ich soll nett sein, mit ihr reden, Tee kochen … sonst noch was?«
    »Furzen Sie nicht so viel.«
    Sie lachte.
    Ich beendete das Gespräch, warf die Zigarette aus dem Fenster und fuhr in den Regen.
     

2
    Die Stadt Hey sieht in etwa so aus wie jede andere mittelgroße Stadt im Südosten Englands. Es gibt ein Stadtzentrum, Wohnsiedlungen, Supermärkte, eine Umgehungsstraße, Dörfer am Stadtrand, einen Fluss, einen Park, Pubs, Clubs, Schlägereien, Drogen … dazu 200.000 Einwohner, die 200.000 Leben führen, und es gibt dort nicht mehr Gutes und nicht weniger Scheiße als in jeder anderen Stadt, die ich kenne.
    Es ist einfach irgendeine Stadt, irgendwo.
    Es ist Hey in Sussex, England.
    Es ist der Ort, wo ich wohne.
    Es ist der Ort, wo ich herkomme.
    Mein Büro liegt im ersten Stock eines zweistöckigen Hauses am unteren Ende der Wyre Street, mitten im Stadtzentrum. Die Wyre Street ist ein schmales Sträßchen, das noch zur Fußgängerzone gehört und parallel zur High Street verläuft. Es gibt dort hauptsächlich kleine Firmen wie meine und Geschäfte, die nicht zu einer Ladenkette gehören und sich die Mieten auf der High Street nicht leisten können: Hippieläden, Comicshops, Skateboardhändler, Kerzengeschäfte … Läden, die nicht viel Geld abwerfen und nie länger als ein, zwei Jahre überleben.
    Es ist okay.
    Es ist eine Straße.
    Es ist der Ort, von dem aus ich arbeite.
     
    Bis ich wieder in der Stadt war, ging es bereits auf Mittag zu. Ich ließ den Wagen dort stehen, wo ich ihn immer abstelle – auf einem städtischen Parkplatz am Markt –, und lief die steilen Stufen hinauf, die den Parkplatz mit der Wyre Street verbinden. In den Straßen war es so ruhig, wie man es an einem verregneten Mittwochmittag erwarten konnte. Die meisten Menschen, denen ich begegnete, hatten genug damit zu tun, sich vor dem Regen zu schützen, und beachteten mich nicht weiter. Ein paar skeptische Blicke trafen mich trotzdem auf meinem Weg zurück ins Büro, was ich verständlich fand. Ich war ohne Seitenscheibe durch den Regen gefahren, deshalb war ich klatschnass und zerzaust. Mein Gesicht blutete immer noch, die Schwellung durch den Hammerschlag war größer geworden und verfärbte sich langsam blau, dazu trug ich eine schmuddelige alte Tragetüte mit den Resten eines zerstörten Camcorders.
    Wenn ich mir selbst so auf der Straße begegnet wäre, hätte ich sicher auch skeptisch geschaut.
    Als ich das Bürogebäude erreichte, stand die Haustür offen. George Salvani lehnte rauchend an der Mauer des Vordachs. George, ein Mann mittleren Alters und immer tadellos gekleidet, betreibt in einem der Büros im Erdgeschoss eine Steuerkanzlei.
    »Hallo, John«, sagte er und grinste über meinen Anblick. »Siehst ja super aus heute.«
    »Danke, George«, sagte ich kopfnickend, während ich an ihm vorbei in den Flur trat und die Treppe hinaufging.
    Der erste Stock gehört ganz mir. Es gibt dort einen Flur mit zimtfarbenem Teppich, eine Toilette mit Waschbecken und heißem Wasser und ein Fenster, das nach hinten hinaus auf einen schmalen Durchgang an der Rückseite des Gebäudes geht. Die Tür zum Büro selbst hat eine geriffelte Glasscheibe, auf der in verblichenen schwarzen
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