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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen
Autoren: Franz Werfel
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man das Leben zurückzudrehen gelernt hat, wie man eine Filmrolle und somit ein abgebildetes Leben zurückdrehen kann vom Ende zum Anfang hin …«
    »Ich hoffe«, lächelte der Erzpriester, »daß Sie die Bereitschaft Ihrer Zeitgenossen, über die ich kein Urteil habe, nicht überschätzen. Nun aber verraten Sie mir, mein Freund, was man Ihnen bestimmt
nicht
glauben wird.«
    »Bestimmt
nicht
glauben wird man mir«, entgegnete ich, »daß Euer Lordschaft und der Jude des Zeitalters existieren.«
    »Ja, warum wird man Ihnen diese bescheidenste aller Tatsachen nicht glauben?«
    »Weil gerade diese bescheidenste aller Tatsachen ohne übernatürlichen Glauben nicht zu glauben ist. Ohne den Glauben an die erstletzte und endgültige Offenbarung der unbeweglichen Wahrheit durch das Alte und Neue Testament ist die Annahme, daß die Kirche Christi und Israel durch die Jahrhunderttausende fortbestehen, nicht nur ein Ammenmärchen, sondern ein Ärgernis. Den echten übernatürlichen Glauben besitzen aber nur die wenigsten meiner Zeitgenossen. Die andern werden sagen: Wenn alle primitiven Religionen durch fortschreitende Erkenntnisformen abgelöst worden sind, so kann die Kirche Christi mit ihren geschichtsbedingten Mythologien und Dogmen die fortschreitenden Erkenntnisformen nicht überlebt haben.«
    »Aber werden die standhaften Juden nicht glauben, daß sie die Zeiten überlebt haben?« fragte der Großbischof mit umwölktem Blick.
    »Ein paar fromme Orthodoxe vielleicht. Die werden’s glauben, aber gar nicht wissen wollen. Die modernen Juden jedoch werden meinen Bericht von Minjonman und seinem Sohn ungern hören, weil ihr Ziel die nationale Normalisierung ist, das heißt das Verschwinden.«
    »Mein Sohn, Sie übertreiben. In den Anfängen der Menschheit hat es mehr gute Christen gegeben als heute. Diese guten Christen werden sich mit Ihrem Bericht freuen …«
    »Die Protestanten und national-christlichen Sekten werden sich kaum darüber freuen, daß die katholische Kirche das Rennen gewonnen hat …«
    »Aber die Katholiken …«
    »Die Katholiken werden bittern Anstoß nehmen, daß ich Euer Lordschaft mit dem Titel ›Großbischof‹ bedenke, anstatt Sie Erzbischof zu nennen, obwohl Sie doch wirklich als Oberhirte von mehreren Großdiözesen der Panopolis ein Großbischof sind …«
    »Es tut mir leid, daß Sie in Schwierigkeiten geraten werden, wenn unser Nachdenken ein gutes Resultat hat …«
    Weiter kam der Kirchenfürst nicht, denn unmerklich war durch eine kaschierte Tür ein Ordensgeistlicher eingetreten, ein hochgewachsener Hagerer, der wie die personifizierte Lautlosigkeit an der Bücherwand stehenblieb. Ich hielt diesen Schattenhaften im ersten Augenblick für den Pater Exorzist. Er war’s aber nicht, obwohl er zu demselben Orden gehörte, der unsern Dominikanern entsprach.
    Der Großbischof erhob sich:
    »Dies ist«, stellte er vor, »der hochwürdige Vorstand unseres angelogischen Seminars …«
    »Wie das«, erschrak ich, weil ich das Wort angelogisch zuerst für eine sprachwissenschaftliche Bezeichnung hielt.
    Der Bischof, der mein Nichtverstehen bemerkte, erklärte:
    »Oh, es ist ein altehrwürdiges Institut, unser Seminar für Engelforschung.«
    Fast hätte ich in die Hände geklatscht vor Entzücken.
    »Aber da habe ich selbst Erfahrungen …«, rief ich aus und brach jäh ab, denn es war weder die Stunde noch der Ort, von Melangeloi und andern Kommunikationen zwischen dem, was in der Welt und außerhalb der Welt ist, zu sprechen.
    Der Großbischof trat nahe an den Angelogen heran, und sie begannen halblaut miteinander zu verhandeln. Obwohl ich fühlte, daß der Gegenstand ihres Gesprächs niemand anderer war als ich selbst und meine Zukunft, so spitzte ich doch nicht die Ohren.
    Ein überschwengliches Verlangen nach einem neuen Glase Wein, Gott weiß das wievielte, hielt mich in Bann. Ich konnte mich nicht beherrschen und spähte wie ein Dieb nach dem Kristallkrug, um mir verstohlen eins einzuschenken, denn die Priester kehrten mir den Rücken. Langsam griff ich nach dem Kruge.
    »Es ist die einzige Gelegenheit«, hörte ich den Engelforscher flüstern. Das Wort »Gelegenheit« war in dem Sinne von Transportmittel gebraucht. Postkutschen nannte man ja einst »Gelegenheiten«. Ich hielt den Krug vorsichtig in der Hand.
    »Damit bin ich einverstanden, und es ist auch sinnvoll«, erwiderte der Großbischof leise. Der Angeloge aber zog ein winziges Büchlein hervor, in dem er, es nahe an die Augen
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