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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen
Autoren: Franz Werfel
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nicht paradiesisch ist? Er gießt sich selbst als Inhalt in jede Form. So sind am Ende alle Formen unwesentlich, weil sie das unabänderliche Maß menschlichen Ungenügens umschließen. Ich weiß nicht, ob der Höhlenmensch glücklicher gewesen ist als der Bewohner eines New Yorker Wolkenkratzers um 1930 und ob letzterer glücklicher war als mein Gastfreund Io-Fagòr in seinem unterirdischen Hause voll Lichtphantasien, dynamischen Tapeten, stellar hergestellten Familienrezepten und vielen anderen Wundern. Ich weiß nur, daß ein Hochhaus oder ein Cottage um 1930 unendlich viel wohnlicher und praktischer war als die Kalkhöhle eines Primitiven und daß die schlechteste Heimstätte der Panopolis ihrerseits unvergleichlich zivilisierter ist als eine Magnatenvilla meiner Lebenszeit, ganz zu schweigen von den morgenwolkenumkreisten Bürodolomiten und Kommerzwaben von Manhattan. Der Mensch bringt Großes zustande, bloß ein obskuranter Dummkopf kann das leugnen. Nur eines hat er noch nicht zustande gebracht, sich selbst!«
    »Das läßt sich hören«, murmelte der Großbischof, ziemlich zufrieden. Er schien vor meinen Formulierungen eine schamhafte Furcht zu empfinden.
    »Die Welt ohne Ökonomie«, fuhr ich fort, »steht höher als die Welt mit Ökonomie, das heißt richtiger gesagt, sie ist höher entwickelt, wie zum Beispiel eine elektrische Hotelküche höher entwickelt war als das nackte Feuer, an dem der Wilde seine Jagdbeute briet, und die Zubereitungen des Arbeiters ihrerseits höher entwickelt sind als jene altertümlich-elektrische Hotelküche. Das will aber durchaus nicht heißen, daß die höher entwickelte Speise auch vortrefflicher schmeckt. Mich würden die raffinierten mentalen Suppen und Cremes auf die Dauer ermüden, und ein Kongreß von Gourmands dürfte ohne Zweifel feststellen, daß auf nacktem Holzfeuer der Braten am besten gerät. So liegt es im Leben, daß jeder Gewinn auf einem Verlust beruht und umgekehrt. Ich hoffe, daß trotz des Dschungelsieges die ökonomielose Welt aufrecht erhalten bleibt. Sie ist eine bessere Welt, obwohl der Mensch in ihr nicht besser ist. Doch wenn der Mensch moralisch auch nicht besser ist, er ist ästhetisch schöner geworden. Er ist nicht nur schöner geworden, sondern auch erkennender, dafür aber auf der Verlustseite wieder matter und kälter: War der Mensch früher schuldig-unschuldig, so ist er jetzt unschuldig-schuldig mit seinen leeren Handflächen …«
    Während ich an Lala in der Dorfkirche dachte, ergriff mich eine längere Geistesabwesenheit, so daß ich erst den Schluß dessen hörte, was der Großbischof mir zu sagen hatte:
    »… Sie vielleicht zurückkehren, da wird man Sie ausfragen. Werden Ihre Zeitgenossen alles glauben, was Sie ihnen wahrheitsgemäß zu berichten haben?«
    »Danke, Euer Lordschaft«, sagte ich beglückt, indem ich ein weiteres Glas in Empfang nahm. »Meine Zeitgenossen werden sich kaum darüber wundern, daß der Arbeiter und sein Clan aus den Strahlen der Sonne und anderer Lichtgestirne die vereinfachten vergeistigten Gebrauchsartikel einer numerisch zusammengeschrumpften Menschheit herstellt und auf kürzestem Wege in die Häuser transportiert. Das zwanzigste Jahrhundert war die frühe und plumpe Wiege jener späteren kosmischen Industrie, die auf der Ausnützung der stellaren Grundkräfte beruht. Der populärwissenschaftliche Journalismus meiner Zeit warf schon mit Alpha-, Beta-, Gammastrahlen um sich. Die altmodischen Fernsubstanzzertrümmerer waren zwar noch nicht erfunden, aber der primitivsten Zertrümmerungsart gewisser Atome und der Entbindung der ungeheuren Weltallskräfte war man schon auf der Spur. Auch die Einrichtung des Djebels wird meiner Meinung nach nicht auf unüberwindlichen Zweifel stoßen. Daß die tellurische Gesinnung der Menschen sich zur kosmischen Gesinnung hinentwickeln muß, das ahnten die feineren Geister aller Zeiten. Mir persönlich aber wird man Feigheit vorwerfen, weil ich nur Planeten besucht habe und mit der untersten Schulklasse aufgefahren bin, anstatt mich mit Sternwanderern, Verwunderern und Fremdfühlern in die höheren und höchsten Intermundien zu wagen. Was schließlich den ›Wintergarten‹ betrifft, so werden viele trotz der schönen Margueritenfelder abgestoßen und entsetzt sein von der stygischen Lokalität und dem ganzen Louche von schmuddeligem Umweg ums Sterben. Genau so wie ich es war. Wer weiß aber, andere wieder werden es nicht nur glaubhaft, sondern sogar praktisch finden, daß
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