Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
gehabt. Eine Modellwelt vielleicht, eine vorausgespiegelte Modellwelt, gemäß irgendeinem der Urslerschen Paradoxe über die Lichtbahnen, die Raum und Zeit der verschiedensten Grade und Dichtigkeiten schaffen …«
    »Bedenken Sie, mit wem Sie reden, liebes Kind … Darf ich nun Ihr Anliegen hören …«
    Langsam trank ich den Rest meines Weines aus:
    »Ich hab’s satt«, sagte ich, noch das Glas in der Hand, »ich bin müde. Ich möchte fort …«
    »Hm. Sie haben’s satt. Sie möchten fort. Wie aber stellen Sie sich das vor …«
    »Ich bin durch irgendein Tor eingetreten. Es muß doch dieses oder ein anderes Tor geben …«
    »Mit Toren hab ich nichts zu schaffen«, erklärte der Großbischof, offensichtlich ein bißchen gekränkt.
    »Es muß durchaus kein Tor sein, Euer Lordschaft«, beeilte ich mich vorzubringen. »Jede Art von Passage ist mir recht. Ich kann nur nicht mehr sehr lange in zwei Welten leben. Mein armer Freund B. H. hat mir vorgeworfen, daß ich mich zu sehr ausdehne, daß ich aus lauter Erlebnisgier stets in Gegensätzen zu existieren trachte. Er meint, das sei erstens unmoralisch und zweitens ungesund …«
    »Ihr Freund hat doppelt recht«, nickte der Großbischof.
    »Ich bin ein Verirrter und habe niemanden als den Hochwürdigsten Vater, der mir in dieser ganz vertrackten Situation helfen könnte. Ich bitte um Ihre Hilfe.«
    Der Großbischof schien versöhnt, denn sein großes bleiches Gesicht lächelte wiederum schwach:
    »Wir werden nachdenken«, sagte er.
    »Ich habe diese Güte nicht verdient«, atmete ich auf. »Meine Anwesenheit hat keine nützlichen Folgen gehabt, wenn ich mich auch einer bewußten Schuld kaum zeihen kann …«
    Der Großbischof sandte mir einen langen Blick zu:
    »Ihre Ausdrucksweise ist nach wie vor kompliziert, mein Herr …«
    »Das kommt daher, weil ich ein schwerer Sünder bin und folglich im stetigen Anklagezustand und folglich mich in jedem Satz verteidigen muß …«
    »Dadurch wird’s nicht besser«, schüttelte der Erzpriester traurig den Kopf. »Doch gleichviel, wir werden nachdenken. Wir haben sogar schon den Auftrag gegeben nachzudenken.«
    »Oh wie mich das beruhigt, Euer Lordschaft. Jetzt aber wird es geboten sein, daß ich mich zurückziehe, um nicht länger zu stören. Der Morgen kann nicht fern sein …«
    »Nein, nein, Sie bekommen keinen Urlaub, lieber Sohn«, lachte der alte Mann in sich hinein. »Ganz im Gegenteil. Sie haben jetzt den Preis für unser Nachdenken zu zahlen.«
    »Mit Vergnügen. Fordern Sie alles, worüber ich verfüge …«
    Der Großbischof schenkte mir bedächtig ein neues Glas voll. Der Kristall summte wie eine Glocke unter dem Weingold. Ich hatte mich nach dem Trank gesehnt, aber nicht gewagt, ihn zu erbitten.
    »Der Preis geht nicht über Ihr Vermögen, mein Kind«, sagte der Hochwürdige. »Ich erbitte Ihren Eindruck Summa Summarum.«
    Fortalitium Fidei. Ich nahm den Schmöker in die Hand, und ein weihrauchähnlicher Duft umschwebte meinen Kopf. Ich lehnte mich weit zurück und redete mit geschlossenen Augen:
    »Vor allem, Euer Lordschaft, mein ehemals undeutlicher Glaube an die Erbsünde, an den Fall des Menschen durch Ungehorsam hat sich durch die Erfahrungen meines Aufenthaltes tief befestigt. Ich konnte den unerklärbaren Zwang beobachten, der den Menschen immer wieder verführt, sein mühsam errungenes Gleichgewicht zu vernichten. Im gegenwärtigen Fall sogar sinnloser und unbegreiflicher als früher. Ich gehe aber weiter. Im Djebel hat man mir freundlichst die Lösung einiger Welträtsel anvertraut. Ich ahne, daß nicht nur Adam, der Erdenmensch, gefallen ist, sondern vor ihm der Himmelsmensch, das erste Ebenbild … Diese Lehre wäre zwingender, ohne daß sie unsere Voreltern reinwäscht …«
    Der Großbischof trommelte nervös mit den Fingern auf der Armlehne und sah zur Seite. Weder liebt es ein Musiker, wenn ein Laie mit ihm über den Kontrapunkt spricht, noch ein Theologe, wenn ihn ein Laie mit metaphysischen Spekulationen erschreckt, von denen er schon beim ersten Worte weiß, daß sie längst widerlegte Ketzereien sind und nichts anderes sein können. Dieser verflixte Valentinus, dachte der Großbischof wahrscheinlich. Laut sagte er aber, und zwar hörbar ennuyiert:
    »Bleiben wir auf der Erde, mein Sohn! … Sie haben hier in diesem Raum von der Welt ohne Ökonomie geschwärmt. Halten Sie Ihr Urteil aufrecht?«
    »Die Welt ohne Ökonomie ist ein Paradies. Was aber hilft es, da der Mensch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher