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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe
Autoren: Sofi Oksanen
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Silbersandale ziehen.

    Meine Silbersandalen stehen neben meinen silbernen Krücken.
    Der Kleine Troll hat mir einen Schuh geholt, den ich an meinen gesunden Fuß ziehen kann. Ich muss nur noch etwas Kunststoff bekommen, in den ich den Gips einwickeln kann, für den Fall, dass es regnet. Damit ich einkaufen gehen kann. Ich kann ja den Kleinen Troll nicht ständig durch sämtliche Geschäfte von Kallio scheuchen, damit er für mich das richtige Eis findet. Und der Kleine Troll wäre sicherlich auch nicht bereit, mir ausreichend große Mengen und genau die Lebensmittel zu besorgen, die ich haben möchte, wenn er nun schon mal weiß, dass das Essen zum Erbrechen ist. Immer schön ruhig atmen, ffffff … Es wird schon klappen. Einige Lebensmittelvorräte habe ich ja noch. Ich muss versuchen, so zu rechnen, dass sie für die Fressattacken von sechs Wochen ausreichen. Nein, sie sind nicht groß genug. Sie reichen vielleicht für eine Woche. Was dann? Kein Problem, mein Herr wird sich etwas einfallen lassen.

EINE
WOCHE
SPÄTER ist auch mein zweites Bein eingegipst. Mein rechtes Knie hat das ständige Hüpfen auf einem Bein nicht mitgemacht, was auch kein Wunder ist, denn mit meinen Knien wurde seit Jahren – abgesehen von einigen wenigen Sprüngen – weder gelaufen noch gesprungen. Nicht, seitdem mit den obligatorischen Läufen des Schulsports Schluss ist. Außerdem habe ich mir das Knie schon zu Beginn meiner Essstörungskarriere verletzt, als ich ohne jede sportliche Vorbereitung damit begann, täglich hundert Mal von der Hocke in die Streckung zu springen. Bald steigerte ich die Anzahl auf tausend. Nach zwei Jahren waren meine Knie in einem Zustand, dass ich nicht mehr ohne Stützverbände gehen konnte. Ich hatte für mich ein Gymnastikprogramm entwickelt, bei dem die Knie überhaupt nicht strapaziert wurden und das ich regelmäßig jeden Tag absolvierte, bis ich es letztes Jahr satthatte.

DER
KLEINE
TROLL trägt mich in seine Wohnung hinauf. So leicht bin ich sogar samt meinen Gipsverbänden. Er legt mich aufs Bett, schiebt mir Kissen unter die Beine, bringt mir Kaffee und Zigaretten und Essen und geht zur Arbeit. Abends kommt er von der Arbeit und bringt mir neuen, heißen Kaffee und legt sich neben mir schlafen. Nachts holt er mir Eis aus dem Kiosk und Milch für den Kaffee, als sie alle ist. Er findet, dass ich mich mit meinen Krücken hier besser bewegen kann, wo mehr Platz ist. Und wo er da ist für den Fall, dass es Probleme gibt.
    Ich rufe niemanden an, ich gehe nicht ans Telefon und spreche mit niemandem außer mit dem Kleinen Troll. Es ist mir angenehm, verschwunden zu sein, obwohl ich mein Leben lang Blicke auf mich ziehen und sie kontrollieren wollte. Es ist seltsam, nicht zu erbrechen. Hier ist nicht einmal etwas, was ich verschlingen könnte. Das erzeugt Spannung im Kopf und führt dazu, dass ich den Kleinen Troll anschnauze. Wir sind zu hoch oben, als dass ich hinunterkriechen könnte, und die Geschäfte sind zu weit entfernt, als dass ich sie kriechend erreichen könnte. Unbegreiflich, wie jemand mit einem so leeren Kühlschrank leben kann. Und eine Tiefkühltruhe ist nicht vorhanden.
    Dennoch erscheint mir der Gedanke, irgendjemanden anzurufen, unerträglich, obwohl ich weiß, dass ich zum Trost auch ungebeten haufenweise Essbares bekäme. Lebensmittel als Geschenk oder Mitbringsel bekomme ich nur von Leuten, die meine Nächsten sein sollten. Nie bringt mirjemand Weintrauben oder Garnelen, sondern immer etwas Unsicheres, immer immer, egal, was ich dazu sage, obwohl sie sehr wohl wissen, dass ich ein schwieriges Verhältnis zum Essen habe. Es hat keine Bedeutung, ob ich sage, dass ich geheilt bin, oder nicht, die Mitbringsel und Lebensmittelgeschenke sind immer dieselben, traditionellen für eine Rekonvaleszentin: Kekse, Schokolade, Kuchen. Ihnen allen ist es sehr wichtig, mich essen zu SEHEN . Und jeder ist so selbstgefällig, dass er sich einbildet, ein gutes Werk zu tun und in meinem Leben eine Sonderstellung einzunehmen, mir teurer zu sein als andere, denn ein Zeichen dafür ist ja, dass ich seine Mitbringsel esse. Niemandes Narzissmus würde das Wissen ertragen, dass ich, sobald die Tür sich geschlossen hat, alles Überschüssige aus meinem Magen entferne, das heißt alles. Dass niemand eine Ausnahme ist. Niemand eine Sonderstellung hat. Versteht das doch endlich!
    Sie verstehen es nicht.
    Nur ein kleiner Telefonanruf, und Mutter würde sofort angefahren kommen, mich einer besseren, der
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