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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe
Autoren: Sofi Oksanen
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MEIN
ERSTES
MAL war anders. Ich hatte geglaubt, es würde schrecklich, schwierig, schmutzig und schleimig sein. Ich hatte geglaubt, es würde Blut kommen und der Magen würde mir fürchterlich wehtun. Ich hatte geglaubt, ich würde niemals so weit kommen, ich würde es nicht können, nicht wollen, aber als die Geräusche meiner knisternden Bauchdecke an mein Ohr drangen, traf mein Körper für mich die Entscheidung. Es gab keine Alternative.
    Es war himmlisch.
    Die Flamme des Feuerzeugs beleuchtete meine ruhigen, glänzenden Augen. Meine erste Zigarette nach meinem ersten Mal. Auch sie war himmlisch. Alles war himmlisch.
    Das Einzige, was man mir ansah, waren Zufriedenheit und Triumph. Meine Stimme klang vielleicht etwas sandig oder gebrochen, aber: na und?
    Und ich wusste, es würde ein zweites Mal geben. Ein drittes. Ein hundertstes. Natürlich geht es nicht allen so. Bei manchen bleibt das erste Mal auch das letzte, aber nicht bei denen, die darin und dafür gut sind.
    Ich war sofort gut darin.
    Aus Unerfahrenheit erbrach ich mich allerdings beim ersten Mal ins Waschbecken. Auch beim zweiten Mal noch. Vielleicht hatte die Kloschüssel etwas zu Ordinäres, Demütigendes. Vor dem Waschbecken braucht man zwar nicht zu knien, aber man muss ständig aufpassen, dass der Abfluss nicht verstopft. Wie schafft man das zum Beispiel auf demDorf? Wenn das Erbrochene im Waschbecken steht, man den Abfluss überhaupt nicht freibekommt und nichts da ist, womit man die Pampe herausschöpfen könnte? Zwar gibt es in Badezimmern meistens Zahnputzbecher, aber es ist ziemlich schwierig, sie wieder sauber zu kriegen, ohne dass Spuren bleiben, denn den Geschmack von Seife oder Reinigungsemulsion bemerkt der Benutzer des Bechers, und der Geruch nach Erbrochenem geht trotzdem nicht weg.
    Eine Dusche ist natürlich gut, sie dämpft das Geräusch, und das Sieb über dem Abfluss bekommt man meistens heraus. Aber man kann nicht ständig in die Dusche gehen. Auf die Toilette dagegen schon. Es ist ganz normal, sich die Nase zu pudern. Und alle verstehen, dass es bei Frauen auf der Toilette immer etwas länger dauert; normalerweise muss man sich also nicht übermäßig beeilen, sondern hat genug Zeit, alles herauszuwürgen und sich gründlich zu säubern.
    Ich bin vierzehn Jahre lang gut darin gewesen, und niemand hat es bemerkt, wenn ich es nicht selbst erzählt habe. Dennoch will niemand kapieren, was ich erzählt habe. Und wer es kapiert, steht der Sache hilflos gegenüber. So mächtig ist mein Herr und Schöpfer, und so genehm bin ich meinem Herrn, in dessen starker Umarmung mein Frauenfleisch erblüht, wenn ich meinem Herrn nur gehorche und ihn respektiere. Dann gibt mein Herr mir das, was ich will, einen vollkommenen Frauenkörper, der vollkommen ist für mich, vollkommen für meinen Herrn und vollkommen für die Welt. Und ein vollkommener Frauenkörper macht aus mir eine vollkommene Frau. Eine gute Frau. Eine begehrenswerte Frau. Eine kluge und beneidenswerte Frau. Eine, der man nachschaut. Eine, die man bewundert. Beauty hurts, baby.

1971
    Katariina kommt zum ersten Treffen über eine halbe Stunde zu spät, aber sie wird trotzdem erwartet. Ein finnischer Mann erwartet sie. Der bei der Tanzveranstaltung letzte Woche ihre ablehnenden Antworten nicht akzeptiert hat, sondern sie so oft aufforderte, bis Katariina nicht mehr anders konnte, als einzuwilligen. Der Mann fragte auf Finnisch nur, warum nicht, und Katariina war sich nicht sicher, wie der Mann ihre Antwort verstehen würde, dass sie jetzt wirklich keine Lust habe zu tanzen, sie sei müde und nur mitgegangen, um ihrer Freundin Gesellschaft zu leisten, denn die hatte das so sehr gewollt und steif und fest behauptet, Katariina könne Spaß haben im Rae, ja, wirklich, jetzt kommst du mit! Dort hatte sich dann herausgestellt, dass das Rae kein Café war, wie sie angenommen hatten, sondern ein Restaurant, und anständige Mädchen gingen nicht ohne männliche Begleitung ins Restaurant. Nachdem der Oberkellner den Irrtum der Mädchen bedauert hatte, vertrieb er sie jedoch nicht, sondern führte sie an einen geeigneten, unauffälligen Platz und kam später ab und zu nachsehen, ob alles in Ordnung war. Umso mehr Grund hatte Katariina, den Tänzer abzuweisen. Sie wollte wirklich nicht tanzen.
    Aber der Finne hatte Katariina nochmals aufgefordert, sagte nach dem ersten Tanz Danke, führte Katariina an ihren Tisch, dann zurück auf die Tanzfläche, wollte immer noch einen und noch einen Tanz, und
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