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Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)

Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)

Titel: Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Autoren: Kim Kestner
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1. KAPITEL
31. AUGUST 2013
6.04 Uhr, Mill Valley

    Eine blecherne Melodie reißt mich aus dem Schlaf.
    Ich muss nicht erst die Augen öffnen, um zu wissen, dass mich mein hoffnungslos veraltetes Handy mit seiner immer gleichen Tonfolge beschallt.
    Mit der einen Hand ziehe ich mein Kissen über das Ohr, mit der anderen versuche ich, das elektronische Biest zu erschlagen. Ich hasse die Melodie! Und sie scheint mich ebenso zu hassen.
    »Ja?«, brülle ich schließlich in das Ding, das ich erst aufklappen muss, damit es funktioniert.
    »Alison!«
    »Oh Gott! Carissa. Wie spät ist es?«
    »Keine Ahnung, aber stell dir vor: Ich war die ganze Nacht wach. Bin gar nicht erst schlafen gegangen! Hab mit 'nem Campingstuhl vor dem Laden gewartet und so …«
    Entnervt halte ich das Handy so weit von meinem Ohr entfernt wie möglich. Carissas Stimme ist fast so schrecklich wie meine Handymelodie, und ein Blick auf den Wecker gibt mir den Rest. Mit stoischem Blinken zeigt er mir seinen Mittelfinger. Es ist erst kurz nach sechs. Super! Und das in den Ferien!
    Selbst Jeremy schläft noch. Sonst ist er immer der Erste, der unserem Haus seinen stampfenden, schreienden, heulenden und johlenden Odem einhaucht. Schrecklich!
    Mein Bruder Jeremy ist gerade zehn geworden und ein Unfall, wie meine Eltern nie zu erwähnen vergessen. Trotzdem lieben sie ihn abgöttisch. Mit seinem blonden Engelshaar und den viel zu großen Augen erweckt er den Eindruck, als könne er kein Wässerchen trüben, aber mein aufgebrochenes Sparschwein und das zerlesene Tagebuch sprechen eine andere Sprache.
    Meine Haare sind schwarz und meine Augen matschfarben. Niemand würde mich für einen Engel halten.
    »Chst d mch?«, höre ich dumpf aus der Ferne.
    Verdammt! Carissa … Zwecklos, noch an Schlaf zu denken. Wenn du nicht schlafen kannst, steh auf, hat mir Großvater immer gesagt. Also springe ich aus dem Bett, stoße mir mein Knie am Nachttisch und schleppe mich, mit dem Handy in der Hand, zum Fenster. Nur mit einem energischen Stoß lassen sich die Flügeltüren öffnen, aber dann strömt die warme Morgenluft herein und mit ihr das aufdringliche Gezwitscher eines Vogels, irgendwo aus den Ästen des Apfelbaums, der sich bis über unseren Dachfirst streckt.
    »Was?«, schnauze ich in die Sprechmuschel und lasse mich wieder aufs Bett fallen. Es klingt weniger verärgert, als ich es mir gewünscht hätte.
    »Gut, da bist du ja«, schnattert Carissa weiter. »Es ist sooo cool! Und du wirst nicht glauben, was das Beste ist! Stell dir vor: Die ersten fünf Kunden haben eine Sonderedition mit Perlmutt-Lackierung bekommen. Gleich nach dem Frühstück komme ich zu dir und …«
    »Bitte, bitte, nein! Ich will noch schlafen!«, würge ich Carissa ab und lege auf. Wir kennen uns, seit wir denken können. Ich weiß, sie wird es mir nicht übel nehmen.
    Carissa ist auf den Tag zwei Monate älter als ich und früher haben wir in der gleichen Gegend gelebt, doch seit ihr Daddy ein Vermögen mit Düngemittel gemacht hat, bewohnen sie ein großes Strandhaus, dessen Fronten fast ausschließlich aus Glas bestehen. Ich mag Carissa noch immer, aber ihr ganzes Chichi nervt. Gestern hat sie doch tatsächlich vor irgendeinem Apple-Store in San Francisco gecampt, nur um das neue iPhone als Erste zu besitzen. Am Montag nach den Ferien wird sie in der Highschool höllisch damit angeben.
    Mit einem Seufzer krieche ich zurück unter die Decke und schirme meine Augen gegen das grelle Morgenlicht ab, das tanzende Schatten durch den dichten Blätterwald auf mein Gesicht wirft. Obwohl unser Haus auf einer kleinen, frei geschlagenen Schneise inmitten gigantischer Bäume steht, schafft es die Sonne in diesen Augusttagen bis in mein Dachgeschosszimmer. Sie wärmt meine Haut, lässt meine kurzen, schwarzen Fransen bald auf meiner Stirn glühen, und da außer mir ohnehin noch niemand wach zu sein scheint, lasse ich mich von der Wärme und den Geräuschen des Waldes in einen Dämmerschlaf tragen …

8.02 Uhr, Mill Valley
    Ich schrecke hoch, sitze kerzengerade und verschwitzt in meinem Bett. Etwas stimmt nicht. Etwas ist … anders!
    Der penetrante Vogel im Apfelbaum scheint ausgeflogen zu sein, statt seiner macht sich ein ehrgeiziger Specht bemerkbar. Aber das ist es nicht. Meine linke Hand schmerzt, wahrscheinlich weil ich noch immer das Handy verkrampft festhalte. Mit dem Daumen massiere ich die Innenfläche, während ich mich in meinem Zimmer umsehe: der Holzstuhl mit der geflochtenen
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