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Die innere Freiheit des Alterns

Die innere Freiheit des Alterns

Titel: Die innere Freiheit des Alterns
Autoren: Ingrid Riedel
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Vorwort
    Innere Freiheit gewinnen – sollte dieser Gedanke ein Leitspruch für das Alter werden können? Dabei mutet uns das Altern doch vor allem Einschränkungen zu.
    Wie ließe sich das überhaupt vorstellen: zu leben in innerer Freiheit, zu leben »ohne Warum« wie Meister Eckhart es vorschlägt?
    Ehe ich Meister Eckhart hier hinterfrage, bin ich schon berührt von seiner kühnen Vorstellung, bin wie angeatmet von einer Brise innerer Freiheit und muss dieses Wort »ohne Warum« weiterbedenken, wie ich es im abschließenden Kapitel dieses Buches tue – trotz aller Erfahrung von Einengung und Unfreiheit, die das Alter, wie ich es selbst erlebe, unzweifelhaft auch mit sich bringt. Doch kann ich selber dem Anhauch der Freiheit nicht widerstehen, der bereits in der Vorstellung liegt, dass es ein »Leben ohne Warum« geben könne. Dem möchte ich in diesem Buch nachspüren.
    Worum es hier nicht gehen soll: um eine weitere »Altersstudie«, entlang der bemerkenswerten wissenschaftlichen Literatur über das Alter, 1 die heute vorliegt und auf deren wichtigsten Thesen ich mich stütze. Es geht mir vielmehr vor allem um einen existentiellen Zugang zum Altern.
    So werde ich auch nicht alle uns bekannten Altersstadien bedenken. Vielmehr soll es, nachdem ich das sogenannte »Junge Alter«, das ungefähr bis Anfang siebzig reicht, in meinem Buch Die gewandelte Frau. Vom Geheimnis der zweiten Lebenshälfte 2 schon näher beschrieben habe, jetzt vor allem um die Altersphase gehen, in der ich zurzeit selbst stehe und die, je nach persönlicher Konstitution, von Mitte siebzig bis in die Achtzigerjahre hineinreichen kann.
    Das hohe Alter wiederum, das in den Neunzigern beginnt, folgt eigenen Gesetzen und Gegebenheiten, die eine eigene Betrachtung erforderten.
    Mit diesem Buch möchte ich einen persönlichen Gesprächsbeitrag liefern, der vor allem für diejenigen gedacht ist, die mit mir in dieser Lebensphase unterwegs sind. Ich denke, die hier geschilderten Erfahrungen und Einsichten reichen sicher ein Stück weit über meine persönlichen hinaus und können von manchen Menschen meines Alters geteilt werden. Auch sind sie in Übereinstimmung mit den heute relevanten Altersstudien, die vor allem die neu erforschte Plastizität unseres Gehirns, die uns bis ins höhere Alter hinein entwicklungsfähig hält, einbeziehen. 3 Ich erhoffe sie mir als einen Beitrag zum Austausch über unsere Erfahrungen mit dem Alter, zu denen auch die Erfahrung einer wachsenden inneren Freiheit gehören kann, eine neue Auffassung von einem Leben als einem Leben, das seinen Sinn in sich selber trägt, als einem »Leben ohne Warum«.
    Konstanz, im Januar 2009
    Ingrid Riedel

Altern: Leben ausschöpfen – und loslassen 4
    Altern bedeutet zweierlei: Leben ausschöpfen und Leben loslassen. Dieses Zweierlei kann eine große Spannung mit sich bringen, kann furchtbar – aber auch fruchtbar sein.
    Altern heißt, sich darüber klar zu werden, dass die eigene Lebenszeit begrenzt, dass sie zum größeren Teil schon durchlebt ist, dass nur ein kleinerer Teil noch zur Verfügung steht. Wie bei jedem guten Spiel ist auch hier die zweite Spielhälfte, ja, sind vielleicht die letzten fünfzehn Minuten entscheidend dafür, ob ich das Spiel – hier das Spiel meines Lebens – als verloren oder gewonnen erlebe. Dieses Gefühl, dass es um die entscheidenden Jahre, auch um die entscheidenden Inhalte meines Lebens geht, macht die späteren Jahre kostbar, so kostbar, dass manche Menschen eine lebenslange Tendenz zur Depression in diesen Jahren sogar verlieren, weil sie es sich nicht mehr leisten können und wollen, die letzten Jahre damit zu belasten. Andere verfallen aber wegen der sich verknappenden Zeit überhaupt erst in depressive Anwandlungen.
    Es geht darum, was wir in diesen Jahren zu unserem Lebensinhalt machen, was wir doch unbedingt noch erlebt, noch gelebt haben wollen, wenn unser Leben einmal zu Ende ist. Deshalb: Es kommt darauf an, von jetzt an mein besonderes Leben auszuschöpfen, nicht irgendein Leben, sondern mein ureigenes, das in mir angelegt ist. In einer chassidischen Legende, die Martin Buber überliefert, wird ein gewisser Sussja am Ende seines Lebens nicht etwa gefragt, warum er nicht Mose, sondern warum er nicht Sussja gewesen sei. Vielleicht gibt es Seiten in mir, die ich aus Anpassung an meine Lebenssituation, an den jeweiligen Partner, die Partnerin oder auch Chef, vielleicht sogar an meine Kinder, wenn ich sie denn habe, nicht soausleben
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