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Die innere Freiheit des Alterns

Die innere Freiheit des Alterns

Titel: Die innere Freiheit des Alterns
Autoren: Ingrid Riedel
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ihrer Seite her sofort die Klage laut würde, wie selten man sie doch besuche.
    Ich denke allerdings auch, dass man die Alten und auch sich selbst im Alter nicht eindeutig der einen oder der anderen Gruppe zuordnen kann. Leider werde wohl auch ich nicht nur zu den Loslassenden, sondern immer wieder auch zu den Festhaltenden gehören. Ich kann nur erhoffen und das Meine dazutun, dass das Lassenkönnen, die Gelassenheit letztlich in mir gewinnen.
    Die Vorstellung, in einem solchen Strom der Strömung zu folgen – wie zum Beispiel im Oberlauf des Rheins, in dem ich vor einiger Zeit wirklich einmal geschwommen bin, in der großen Biegung bei Beuggen – und sich ihr hier hinzugeben, hat auch etwas Lustvolles. Natürlich muss man als Mensch, der noch leben will, zuvor erkunden, wo man jeweils wieder ans Ufer kommt, es geht ja nicht darum, vom Oberrhein aus direkt ins Meer durchzustarten. Aber diese Fähigkeit loszulassen, sich von einer größeren Strömung tragen zu lassen, ist – im symbolischen Sinn verstanden – eben das, was wir wohl im Alter lernen müssen, wenn das letzte Viertel oder Achtel unseres Lebensspiels und damit das Ganze gelingen soll.
    Es scheint mir dabei aber auch darum zu gehen, nicht vorschnell loszulassen, nicht das aus der Hand fallen zu lassen,was sich mir vielleicht eben jetzt noch geben und entfalten möchte. Es gilt vielmehr, intensiv zu leben bis zuletzt – wie es mir unvergesslich ein an Krebs erkrankter Patient vorlebte, der in der letzten Phase zu malen begann und sich, nach einem in mancher Hinsicht auch lange gehemmten Leben, hindurch malte zu seiner eigentlichen Expressivität und seinem eigentlichen Selbst-Sein, zu den tiefen Sinnbildern seines Lebens, in denen er sich wiederfand, geborgen in einem größeren Zusammenhang. Er starb befriedet, versöhnt.
    Es gilt aber in alledem auch, die Zeichen zu erkennen, die uns, gemessen an unserem bisherigen Lebensrhythmus, zum Loslassen und Losgeben einladen – oder schon auffordern. Eines dieser Zeichen scheint mir eine raschere und tiefere Ermüdbarkeit zu sein, die sich einstellt, wenn allzu viel in allzu kurzer Zeit vorgesehen ist und bewältigt werden soll.
    Vieles davon lässt sich gewiss auch jetzt noch – ich spreche von der Mitte der Siebzigerjahre – gut bewältigen, gut gestalten, aber eben nicht zu vieles auf einmal. Um qualitativ sein eigenes Niveau halten zu können, käme es vielleicht darauf an, das Quantitative der Anforderungen zu reduzieren. Auch sollten wir uns mehr darauf konzentrieren, das Qualitative, dasjenige, was wir inhaltlich und methodisch gut beherrschen, zu optimieren, anstatt allzu viele neue Aufgaben und Inhalte anzusteuern. Falls es uns nicht mehr so leichtfallen sollte wie bisher, uns zu konzentrieren und die Dinge auf den Punkt zu bringen, müssten wir ausdrücklich darauf achten, dies zu tun, zum Beispiel auch dadurch, dass wir einige gute Freunde dazu ermutigen, uns auf gelegentliche Weitschweifigkeiten oder auch Unklarheiten im Ausdruck hinzuweisen.
    Deutlichere Dünnhäutigkeiten als bisher, Empfindlichkeiten und länger als sonst anhaltender Ärger über Enttäuschungen sollten wir als Anzeichen dafür nehmen, dass wir so manchen Anforderungen unter Menschen, vor allem auch in Teams und Institutionen und den dort üblichen Spannungen, nicht mehr so viel entgegenzusetzen haben wie früher. Wäre nicht ernstlich zu überlegen, ob wir nun bestimmte Aufgaben undFunktionen nicht Jüngeren überlassen und alles Entbehrliche delegieren sollten? Es ist an der Zeit, den Nachwachsenden etwas zuzutrauen, ihre Begabungen zu entdecken, zu fördern und sich daran zu freuen.
    Es gilt, die Horizonterweiterung zuzulassen, die man in der Psychologie der Lebensphasen »Generativität« nennt, also die Mitverantwortung für die kommenden Generationen. Großzügige Generativität zuzulassen, auszuüben, sich darin zu erleben, ist eine der großen Chancen, ist ein Vorrecht des Alters.
    Es gilt jetzt überhaupt – und eine aufkommende Sehnsucht danach mag es verstärken –, sich von einer Einstellung, die sich von der eigenen Leistungsfähigkeit und erbrachten Leistung herleitet, allmählich abzulösen, zugunsten einer Einstellung, die das einfache Sein, das Dasein und damit auch die persönlichen Beziehungen, die unser Leben bis hierher getragen haben, ins Zentrum unseres Selbstverständnisses rückt. Wie kostbar sind uns doch wieder aufs Neue die Menschen, die uns schon lange begleiten, Geschwister vielleicht, vor
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