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Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Titel: Die Somalia-Doktrin (German Edition)
Autoren: James Grenton
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Kapitel 1
    Berbera Road, zwei Stunden vor Hargeysa, Somaliland
16. September 2003
    »Sieht nach Ärger aus«, sagte Jim und wies mit dem Finger nach vorn.
    Nasir beugte sich über das Lenkrad und spähte mit zusammengekniffenen Augen durch seine rotgefasste Brille. Im schwindenden klaren Licht senkte sich eine orangefarbene Sonne über das flache sandige Land. Nur hier und da durchbrach ein grünliches Büschel Gras oder eine Ansammlung kleiner Felsen die trostlose Landschaft ringsum.
    »Ich sehe nichts«, sagte Nasir.
    »Warte. Jetzt ist es weg.« Jim strich sich über die Stoppeln. Dann sah er es wieder: die Andeutung eines gelben Leuchtens in der Ferne. »Da. Mitten auf der Straße. Könnten Banditen sein. Oder Miliz.«
    »Oder ein Junge auf einem Kamel. Auf die Entfernung ist das nicht zu sagen.« Eine Hand am Steuer, griff Nasir mit der anderen nach der Kalaschnikow auf dem Rücksitz.
    Er hielt sie Jim hin, der den Kopf schüttelte.
    »Sorry, ich fass die Dinger nicht mehr an.«
    Nasir zuckte die Achseln, legte sich die AK-47, das gekrümmte Magazin nach vorne, über den Schoß und gab wieder Gas. Er kaute ein Bällchen Khat, die stimulierende Pflanze, die in Somaliland so gut wie alle Männer tagein, tagaus kauen. Schweißperlen liefen ihm rechts und links von der breiten Stirn über die hohen Backenknochen und sammelten sich am Saum seines dünnen Schnurrbarts.
    »Verriegle die Türen«, sagte Jim. »Halt den Kopf unten und drück auf die Tube. Womöglich ein Hinterhalt.«
    Nasir checkte die Zentralverriegelung. »Mach dir um mich keine Sorgen, mein Freund. Ich stand schon öfter unter Beschuss, als mir lieb war.«
    Nasir beschleunigte und sie näherten sich dem Licht. Was immer es war, wenn es jetzt nicht auswich, wäre es im nächsten Augenblick Brei.
    Aber dann bewegte es sich – geradewegs auf sie zu.
    Nasir stieß einen Schrei aus, trat auf die Bremse, riss das Steuer nach rechts und der Wagen kam rutschend zum Stehen. Jim knallte mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett. Kleine Lichter umtanzten ihn. Noch ein Schrei. Eine Tür sprang auf. Er fasste sich mit beiden Händen an den Kopf, spürte Blut. Er schüttelte die Benommenheit ab. Alles um ihn herum war tiefrot.
    »Jim, komm, schau!« Es war Nasir. »Hier liegt einer auf der Straße. Halbtot.«
    Jim sah sich von grellem Licht geblendet. Nasir hatte die Taschenlampe auf ihn gerichtet.
    »Bist du in Ordnung?«, fragte er. »Komm her. Schau dir das an.«
    Jim sondierte die Landschaft um sie herum. Keine Spur von Leben, keine Möglichkeit sich zu verstecken. Ein Hinterhalt war somit kaum wahrscheinlich. Er kletterte aus dem Land Rover. Unter seinen schweren Stiefeln knirschten Kiesel und Sand. Er stützte sich auf die Motorhaube und erschauerte in der kühleren Abendluft nach der sengenden Hitze den ganzen Tag. Im Licht der Scheinwerfer bemerkte er einige Blutflecken auf seinem hellgrauen Hemd. Als hätte ihn jemand mit roter Farbe bespritzt.
    Ohne weiter darauf zu achten, ging er auf die ausgestreckt auf der Straße liegende Gestalt zu, über die Nasir sich bückte.
    »Was ist denn passiert?«, fragte Jim.
    »Ein Weißer. In ziemlich üblem Zustand.« Nasir hatte zwei Taschenlampen; eine davon musste von dem Verletzten stammen.
    Jim kniete nieder und hielt ein Ohr an den Mund des Mannes.
    »Er atmet«, sagte er.
    Er nahm Nasir eine der Taschenlampen ab und richtete sie auf den Körper des Mannes. Er schien Mitte 40. Seine Nase war eingeschlagen, ein scharfer weißer Knochen stand hervor. Seine Augen waren geschwollen, das eine war geschlossen. Seine Backen waren voller Blutergüsse, die eine zierte ein tiefer Schnitt. Sein Hemd war in Fetzen gerissen; große Blutflecken bedeckten ein Logo, das Jim auf der Stelle erkannte: das U und das A von Universal Action vor einem kleinen Globus als Symbol der Welt. Er trug weder Schuhe noch Socken, und seine Füße sahen aus, als wäre er barfuß über Scherben gelaufen, aufgequollene Batzen blutigen Fleischs.
    Der Mann stöhnte. Er war nicht völlig besinnungslos, sich ihrer Anwesenheit aber nicht bewusst.
    »Sieht nicht gut aus«, sagte Jim. Er legte dem Mann zwei Finger ans Handgelenk.
    »Der Puls ist schwach.« Er stand auf. »Schaffen wir ihn auf den Rücksitz. Komm, hilf mir tragen.«
    Nasir wich einen Schritt zurück.
    »Was ist?«, fragte Jim.
    »Wir sollten ihn nicht mitnehmen. Auf keinen Fall.«
    »Warum?«
    »Weil so was Unglück bringt.«
    »Was redest du denn da?«
    »Wir wissen nicht, wer er
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