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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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auch keinerlei Reue. Beim Verhör bat er um einen Hamburger und eine Cola. Seine Aussage wurde immer wieder von Kichern und Gackern unterbrochen.
    Tammer wurde getrennt verhört.
    Gefragt, was sie in Ottos Wohnung gesucht hätten, erklärte er, sie hätten für Otto irgendeinen besonderen Koffer abgeholt.
    Wo ist dieser Koffer jetzt?
    Unter der Brücke.
    Was war in dem Koffer?
    Papiere.
    Was für Papiere?
    Irgendwelche Papiere.
    Was stand darauf?, fragte der Ermittler.
    Namen von reichen Leuten, antwortete Tammer.
    Woher hast du gewusst, dass sie reich sind?
    Otto, so Tammer, hatte hinter den Namen das jeweilige Jahreseinkommen notiert.
    Als man Tammer fragte, ob Skippy die Liste gelesen habe, antwortete er: Skippy kann nicht lesen.
    Als man Tammer fragte, wann, wie und wo er seinen Onkel zum letzten Mal gesehen habe, sagte er, Otto sei in einem Clownskostüm unter der Brücke aufgetaucht.
    Als man ihn nach den Opfern fragte, bekannte er sich zu den Morden, die auch Skippy beschrieben hatte, und nannte ein viertes Opfer: Fredao Mwalila. Sie hätten Fredaos Waffe benutzt, um den Manager zu erledigen.
    Im Verhörzimmer nebenan fragte gerade Skippy, ob er mal auf Klo gehen dürfe. Er hatte eine Kette an den Füßen, zwei Polizisten begleiteten ihn. In der Toilette zog er sein Hemd aus und wusch sich im Waschbecken Haare und Gesicht. Auf seinem Unterhemd waren Blutspuren. Er klaute die Seife und trat grinsend aus der Toilette, wobei er mehrmals das Wort »Seife« vor sich hinsagte.
    Schließlich wurden Tammer und Skippy in einem Zimmer gegenübergestellt. Die Frage nach der Mitgliedschaft in einer politischen Gruppierung verneinten beide.
    Seid ihr unter anderen Namen bekannt?, fragte der Ermittler.
    Die Wilde Kapitalistenbande, sagte Skippy, was erneutes Gekicher zur Folge hatte.
    Sie verwehrten sich dagegen, dass Otto die Morde angeordnet hätte, sie seien ganz von selbst drauf gekommen.
    Auch die Frage, ob sie Taxifahrer ermordet hätten, verneinten sie.
    Und wer hat dann die Taxifahrer auf dem Gewissen?, fragte der Ermittler.
    Skippy kicherte und sagte: Das weiß allein der liebe Gott.
    Schlamm
    Ich fuhr zum Café Bolero. Die Spinnen blätterten in Zeitungen, die auf den Tischen ausgebreitet waren wie seltene Schmetterlinge im Dachspeicher eines Sammlers. Ein leises Raunen erfüllte den Raum, man zeigte sich gegenseitig die Bilder der jugendlichen Killer.
    Als ich Tammer und Skippy erkannte, rannte ich über die Straße und kaufte alle Zeitungen, die ich tragen konnte. Ich setzte mich an den Tresen und las. Die Verhaftung lieferte die Schlagzeile des Tages, selbst in den Klatschblättern und den überregionalen Zeitungen. Die Bilder der beiden waren auf allen Titeln. Wenn man ein wenig weiterblätterte, konnte man erfahren, welchen Weg Skippy durch verschiedene Strafanstalten und psychiatrische Institutionen gegangen war; Hintergrundartikel beleuchteten, unter welchen besonderen Störungen Kinder von Prostituierten leiden. Auch Ottos Foto war in vielen Zeitungen, er galt als Hauptverdächtiger beim Mord an dem französischen Journalisten und wurde als Pflegevater eines der Killerkinder bezeichnet. Diese Verbindung wiederum führte zu weiteren Spekulationen, am Ende blieb ein Wust aus Verdächtigungen und Hinweisen, die zu nichts führten. Den Berichten zufolge befand sich Otto auf der Flucht, die Polizei war ihm dicht auf den Fersen. Er wurde als gefährlicher Ideologe bezeichnet, ein Linksterrorist mit Verbindungen in die Anarchistenszene.
    Nun waren es die Anarchismusexperten, die sich in die Fernsehstudios verirrten. Zur Gruppe um den serbischen Anarchisten Gavrilo Princip gehörte, wie ein niederträchtiger Experte sichtbar vergnügt betonte, ein geheimnisvoller Araber, der später gehängt wurde – sogar die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand von Österreich wurde noch einmal aus der Klamottenkiste der Geschichte geholt, als hätte man es mit Grundschülern zu tun. Man verwies auf das Leben der berüchtigten Anarchistin Emma Goldman, um die Bewegung als gescheiterte Idee darzustellen, besonders in Bezug auf die sexuelle Befreiung, die, so die einhellige Meinung, zu promiskem Verhalten und Ausschweifung geführt habe. Alte Klischees wurden ausgepackt, längst geklärte Missverständnisse wieder aufgewärmt. »Anarchisten auf der Flucht« stand unter einem Foto, »Der wiedererstarkte Anarchismus des Westens« und »Warum ein ehrbarer Bürger von Anarchisten ermordet wurde« – Phrasen, vor denen ich mich
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