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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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den Texten kritisierte, erinnerte ihn der Produzent daran, dass keines der zur Diskussion stehenden Lieder so gewaltverherrlichend sei wie die Kolonialhymne »Rule Britannia«.
    Jemand fand heraus, dass eines der Opfer zunächst jahrelang ohne Lizenz gefahren war. Da er der Sprache nicht mächtig gewesen war, war er bei der offiziellen Prüfung durchgefallen. Also hatte er sich die Lizenz seines Cousins geborgt, sie sahen sich so ähnlich, dass es niemandem auffiel. Sechs Monate vor seinem Tod bestand er schließlich die Prüfung, man gab ihm die Nummer 48. Nach Ende der Ermittlungen sprach ein führender Gewerkschaftsvertreter von Ausgrenzung, er forderte, die Prüfung in möglichst vielen Fremdsprachen anzubieten.
    Den Fahrern empfahl man, aufeinander aufzupassen, besonders bei Straßenkunden sei Vorsicht geboten. Viele Fahrer gaben die Nachtschicht ganz auf, sie fuhren nur noch tagsüber, was die Taxifirmen zum Anlass nahmen, die Pachtgebühr für die Schicht anzuheben. Der Karneval war noch immer nicht vorüber, und nun gab es Fahrer, die sich weigerten, Maskierte mitzunehmen. Wer es dennoch wagte, öffnete erst die Türverriegelung, wenn er die Farbe der Hände gesehen hatte. Ein schwules Pärchen in Cowboykostümen wurde abgewiesen, weil sie Plastikpistolen an den Gürteln trugen. Sie reichten Beschwerde bei der Behörde ein, der Fahrer behauptete nun, er habe sie aus hygienischen Gründen abgewiesen. Einer der Cowboys trug Chaps, eine Lederhose, die seinen Hintern komplett frei ließ.
    »Sind alle Taxifahrer Rassisten?« Solche Schlagzeilen liefen über die Bildschirme der Nachrichtensender. »Neue Bürger diskriminieren«, so der Titel einer Sendung, die mehrmals im Radio wiederholt wurde. »Toleranz für Intolerante?«, lautete eine Variante desselben Themas. Die einzige Taxifahrerin der Stadt, eine Kampflesbe, die sich Baby nannte, wurde von drei verschiedenen Fernsehproduzenten verfolgt, alle wollten ein Interview.
    Einmal wurde sie in einer Livesendung gefragt, ob Taxifahren für Frauen gefährlich sei.
    Nicht, wenn das Püppchen bei mir aufsteigt, antwortete Baby und lachte.
    Dann war da noch der junge Mann aus dem Studiengang Kreatives Schreiben, der zwei Jahre Taxi gefahren war und einen Verlagsvertrag erhielt für eine Sammlung von Taxigeschichten. Das Buch sollte im Herbst erscheinen, wenn die großen literarischen Preise vergeben werden. Das Buch hieß Taxigeschichten .
    Tatsächlich erweckte der Taxikiller, wie ihn die Medien nannten, neues Interesse an den gefährlich-romantischen Aspekten unseres Berufs. Es gab Journalisten und Produzenten, die sich für einen Festpreis einen ganzen Tag lang durch die Gegend fahren ließen, andere fuhren bei laufender Uhr durch angeblich gefährliche Viertel und interviewten die Fahrer. Taxifahrer wurden in die Labyrinthe der Fernsehstudios geschoben, man gab ihnen Wasser aus Wasserkühlern zu trinken und ließ sie warten, bis sie von Sekretärinnen oder Produzenten aufgerufen wurden, die ihre Nachnamen falsch aussprachen. Moderatoren traten aus verglasten Studios, streckten den Taxifahrern die Hände entgegen und baten um die richtige Aussprache, die sie auf dem Weg zu ihren Hockern und Mikrofonen laut übten. Unter den Jacketts der Fahrer wurden Kabel verlegt, sie wurden zum Kragen und von hinten ans Ohr geführt. Können Sie mich hören? – Einige Taxifahrer südasiatischer Herkunft schüttelten auf die plötzliche Frage so heftig die Köpfe, dass die Techniker unfähig waren, die Antwort zu interpretieren. Stirne und Tränensäcke der Fahrer wurden gepudert, um ihnen den Glanz zu nehmen, einige, die Make-up für eine reine Frauensache hielten, verweigerten sich vollständig.
    Quasi über Nacht wurde eine neue Reality-Sendung, Die längste Fahrt , ausgestrahlt, das Konzept bestand darin, Prominente als Taxifahrer einzusetzen und mit versteckten Kameras zu filmen. Als ein solcher Fahrer vor laufender Kamera mit einer Pistole bedroht und ausgeraubt wurde, stellte man die Sendung ein. Das Kamerateam, das in einem zweiten Wagen hinterherfuhr, sah die Pistole in der Hand des jungen Mannes und rief sofort die Polizei. Leicht hätte aus dem Raubüberfall eine Geiselnahme werden können, doch der Promi informierte den Mann mit der Pistole, dass er kein Bargeld dabeihabe, denn – du bist bei Die längste Fahrt ! Der Räuber, so stellte sich heraus, war ein Fan der Sendung, er konnte es kaum fassen, dass er im Fernsehen war. Er gab auf und ließ sich verhaften, als
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