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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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Läden mit den gigantischen Pizzen, den siamesischen Doppel-Cheeseburgern, den vierbeinigen, augenlosen Hühnchen, die mir gelb kostümiert zuwinken, nicht zu vergessen die Milkshakes aus den Dreifachnippeln neu geklonter Kühe … Trotzdem meine ich, dass frische Milch am besten zu den weltgrößten Doughnuts passt, die wir im Dutzend verdrücken … Hätte ich alles wissen müssen, Doktor, ich kann nämlich hellsehen, aber wissen kann man nie …
    Nun, sagte der Arzt, ich meine, eine Störung im Gehirn zu erkennen. Ausgehend von den Zuckungen Ihrer Hände, Ihrem unsteten Blick, nicht zuletzt auch von Ihren langen Monologen und den phantastischen Erzählungen über Schimpansen, die in Bibliotheken an einer Weltverschwörung arbeiten, denke ich, es wäre das Beste, Ihren Kopf untersuchen zu lassen. Ich würde Ihnen also einen Psychiater empfehlen, der Ihre wilden Gedanken besser beurteilen kann. Was halten Sie davon? Ich könnte Ihnen gleich heute eine Überweisung mitgeben …
    Der Arzt erkennt mich, wenn ich ihm im Treppenhaus unseres Mietshauses entgegenkomme und wenn er an der Garagenwand unter meinem Balkon parkt, um seine Mittagspause bei meiner Nachbarin, der Rumänin, zu verbringen.
    Ich beobachte, wie er die Treppe hinaufkommt, er kann es kaum erwarten und lässt unter den geduldigen Blicken der Spinnen schon beinahe die Hose runter. Sobald er ins Haus tritt, schlagen die Hündinnen an, sie heulen im Rhythmus ihrer eigenen Hitze, und das Gebiss der Dame auf der anderen Straßenseite klickert zum zischelnden Geschwätz der Klapperschlangen, und der Schuster an der Straßenecke hämmert den Takt, zu dem die beschlagenen Pferde von nebenan einen Stepptanz hinlegen. Die Brunftzeit – hört nie auf!
    So weit ist es nun also gekommen, Doktor! Jahrelang haben Sie fleißig studiert, Sie haben dicke Wälzer über vergrößertes Lungenvolumen und vermindertes Nierenvolumen auswendig gelernt, über die Klassifikation der Knochen bis ins kleinste Detail, über Venen und Ani, über Eileiter, Herzen und Genitalien. Dies ist Ihr Lohn dafür, dass Sie damals nicht umgekippt sind, dass Sie nicht gekotzt haben beim Anblick der bleichen, aufgeschlitzten Leichen auf den Tischen der Autopsie. Die Ärzte sind die Profiteure des Todes, sage ich, sie profitieren von nie abgeholten Kadavern, in denen einst obdachlose, ruhelose Dichter wohnten! Am Ende sind es die Ärzte, die sich um all die Wahnsinnigen kümmern, die durch unsere Straßen irren und endlose Monologe halten, Ansprachen für erfundene Freunde, ihre Orang-Utan-Arme stecken in überlangen Zauberärmeln, sie reichen in die Eingeweide städtischer Müllcontainer und zaubern Essbares hervor, und die Dosen lassen sie verschwinden und verwandeln sie in Stahltische, auf denen die Verdammten dieser Erde ausgestellt liegen, die nie abgeholten, aufgeschnittenen Leichen mit den zerfetzten Schuhen.
    Über mir wohnt eine alte Polin, sie hat die Lager des Zweiten Weltkriegs überlebt. Ihr Sohn, unser Hausmeister, besitzt eine Harley, hohe Stiefel, eine schwarze, beängstigende Jacke. Er ist ein Dummkopf, der nie den Mund hält und es nicht lassen kann, sein verwitterndes Gesicht im Flurspiegel zu betrachten. Er streicht sich die Lederhose glatt und richtet sein zerzaustes Haar. Wenn in meiner Wohnung ein Rohr tropft oder wenn sich am Fenster Luft und Wasser niederschlagen, klopfe ich gelegentlich an seine Tür. Er öffnet und sieht mich böse an, und das soll heißen: Schreiben Sie’s auf einen Zettel, dafür gibt’s den Kasten an der Tür, ich kümmere mich später darum.
    Wenn ich dem Hausmeister schreibe, bemühe ich mich, die Situation als besonders dringlich und die Konsequenzen als apokalyptisch darzustellen. Ich verwende einen poetischen, zornigen, religiösen Stil in diesen Briefen, drohe unterschwellig mit Gefahr für sein eigenes Wohlergehen und für die allgemeine Sicherheit. Ich versuche, ihm klarzumachen, dass alles miteinander zusammenhängt. Selbst der schmalste Fensterspalt kann einen Luftzug auslösen, der den Wärmehaushalt des gesamten Gebäudes aus dem Gleichgewicht bringt und Mikrokosmen kleiner, globaler Infernos auslöst. Ich erinnere ihn daran, dass unsere Natur eine zerbrechliche ist.
    Nur wie gesagt, er ist ein Dummkopf, der Witz meines literarischen, sarkastischen Stils dringt nicht zu ihm durch. Sein rasendes Gefährt hat ihm jedes Interesse am Menschen und seiner Geschichte weggeblasen.
    Aber – irgendwann taucht er doch an meiner Wohnungstür
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