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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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Wärme, vielleicht sogar ein wenig Trost.
    Früh am Morgen, wenn ich die Straßen gefegt, die letzten Nachteulen und Hyänen und Horden nachtaktiver Affen aufgesammelt habe, die verzweifelt den Weg nach Hause suchen, endet meine Schicht. Ich fahre nach Hause und parke in der Tiefgarage. Ich zähle die Einnahmen und verstecke das Geld in meinem langen Mantel.
    Der Wagen ist dann voller Spuren, voller Dinge, die hereingetragen und gegessen, die verloren und vergessen wurden von Kunden, die während der Fahrt mit den Sohlen schlurren und mit ihren Fingern in alle Richtungen zeigen. Ich habe Hüte gefunden, Portemonnaies, Schals, Papiere, Kleingeld. Außerdem Nagellack, Schminkkästchen, Messer, Drogenreste, Regenschirme – meistens geschlossen, aber nass – in allen Größen. Irgendwann landet alles im Sumpf des Fußraums meines Wagens. Jedes gesprochene Wort, jede Bewegung, jede Klage, jeder Verdacht und jedes Lachen wird aus dem Wageninneren aufgesaugt von dem duftspendenden Schwämmchen, das an meinem Rückspiegel baumelt und den Umriss eines Zedernbaums hat.
    Ich mag diesen Augenblick, wenn ich die Spuren der Nacht ausgrabe und all die Dinge, die irgendjemand vermissen wird. Menschen verlieren die unmöglichsten Dinge, sie lassen alles liegen, und sie vertrauen mir ihr ganzes Leben an. Einmal, tief in der Nacht, habe ich einen Spieler mitgenommen. Er weinte und jammerte und schob sein Unglück auf seine Frau. Ich brachte ihn heim, er hatte drei Nächte lang Karten gespielt. Er bat mich, mit ins Haus zu kommen. Ich werde meiner Frau sagen, dass sie dich bezahlen soll, erklärte er, dann weiß sie, dass ich alles verloren habe. Ich stand in der Tür und sah die Frau kreischen und Geschirr zerschmeißen, während die Kinder in Schlafanzügen weinend aus ihren Zimmern kamen.
    Zainab
    Gleich nebenan wohnt Zainab, die fleißige, nicht aus der Ruhe zu bringende, stille, lächelnde Zainab, Typ Bibliothekarin, in deren Innerem ein Magma brodelt, das einem irgendwann ins Gesicht spritzt, dass einen befeuert und umbiegt zu einem anatomischen Wunder.
    Zainab! Oh Zainab, die du das Leben nach dem Tod fürchtest, du ungeschminkte, farblose Zainab. Zainab spielt die Strenge, die Intellektuelle … Sie gibt sich konservativ, doch hinter der Fassade steckt ein Rätsel, das ich knacken muss. Hör zu, sagt ihre ganze Erscheinung, wenn du nicht genau hinsiehst, wenn du hinter der schlichten Fassade nicht den kochenden Vulkan entdeckst, der in mir steckt, dann bist du nicht der Richtige. Teppichhändler und Clowns und Seiltänzer, auch Beschützertypen in Lederjacken und exzentrische Taxifahrer sind unterhaltsam, überhaupt alle Männer, die bereit sind, sich eine Pfauenfeder in den Hintern zu stecken, um sich aufzuplustern, aber für mich sind sie nichts.
    Vielleicht liege ich falsch, ich denke aber, dass Zainab einen Grübler sucht, einen jener Männer, die sich in Höhlen verkriechen und Berge besteigen, um, eingehüllt in den Qualm eines ganzen Zigarettenpäckchens, der göttlichen Verkündigung zu harren. Vielleicht mag sie auch den schweigsamen Typus, der nur gelegentlich ein paar tiefgründig-prophetische Worte fallen lässt, welche mit den majestätischen Stimmen himmlischer Posaunen nachklingen. Vielleicht sucht sie einen Mann, der die Hauptrolle in einer ägyptischen Seifenoper spielen könnte, einen Mann mit Schnauzer, mit Seitenscheitel und Koteletten, der im glänzenden Morgenmantel in seinem Schloss posiert, eine Zigarette pafft und mit hallender, hallender, hallender Stimme spricht: Masr om el donia . Ägypten, Mutter des Universums …
    Meistens laufe ich Zainab morgens über den Weg. Wir unterhalten uns ein wenig, immer höflich, und ich erzähle ihr ein, zwei Geschichten, die ich in der Nacht erlebt habe. Dann lacht sie meistens, sie kichert oder lächelt und hört mir recht aufmerksam zu. Und dann wenden wir uns anderen Themen zu, wir sprechen über Bücher und über die Grausamkeiten der Geschichte und die großen Verblendungen der Menschheit, über das Leben mit seinen Absurditäten, schließlich über Literatur und andere prätentiöse intellektuelle Angelegenheiten, die mit Tod, Migration und derartigen Verlusten zu tun haben, und dann fällt ihr wieder ein, dass sie sich ihren Büchern und ihrem Studium widmen muss, und ihr Lächeln weicht einem nachdenklicheren Blick.
    Wenn sie sich verabschiedet, frage ich sie mal mehr, mal weniger direkt, ob ich sie zu Kaffee oder zum Essen einladen darf, vielleicht zu
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