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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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Ich setzte mich ins Auto, sah zu, wie das Wasser über die Windschutzscheibe lief. Ich legte die schlammigen Hände aufs Lenkrad, und sie steuerten den Wagen zurück in die Stadt. Gräser und Bäume verneigten sich vor dem durchziehenden Regen. Hier und dort flogen Raben, und ihre Schwärze wurde übertroffen von den dunklen Wolken, und die Größe ihrer Umrisse gab Aufschluss über ihre Entfernung. Was mir auf der Fahrt auch begegnete, wies auf Verlust und Verfall. Am Ende von allem steht die Flucht, dachte ich … Im Rückspiegel die Bilder der Wiesen, die wir passiert hatten, der Tanz eines Vogels zum Licht, der letzte Seufzer eines Pferdes … Der Wagen schien träge, als würde er im Kadaverschlamm versinken. Ich hörte ein Lachen – und lachte mit.
    Die Stadt
    Ich fuhr in die Stadt, es war der letzte Tag des Monats, die letzte Karnevalsnacht. Morgen würde alles vorbei sein, aber heute schien die Stadt hoch in den Lüften zu schweben. Mein Wagen flog höher, ich sah Männer in Frauenkleidern und schwarz gekleidete Jugendliche mit kunstblutbespritzten Gesichtern, schleichend wie Mörder. Vampire nutzten das Gegenlicht und zeigten stolz die Eckzähne. Andere trugen Zylinder, Umhänge, Stöcke, sie gingen als Zauberer oder fliegende Superhelden. Homo sapiens trug einen Tierschädel und torkelte mit einer Bierdose durch die Gassen, raue Stimmen schmetterten alte Trinklieder. Auf dem Heimweg, nahe dem östlichen Ufer, entdeckte ich einen bärtigen Mann, der ein Kamel führte. Die Stadt schien wie ein verlassenes Zeltlager, die Karawane von Vagabunden und zahmen Tieren zog weiter.
    Da sind sie ja, sagte ich, auch für mich ist es nun Zeit, Abschied zu nehmen und weiterzuziehen.
    Ich landete in meiner Tiefgarage und rannte ins Haus. Ich trommelte an alle Türen, niemand öffnete. Ich ging in meine Wohnung, setzte mich an den Schreibtisch und verfasste ein Schreiben an Hausmeister und Nachbarn, in dem ich mein Mitgefühl über das Ableben der Hausmeistermutter zum Ausdruck brachte und dem Sohn mitteilte, dass ich unverzüglich ausziehen und niemals wiederkehren würde. Da der Monat zu Ende war, legte ich noch einen Scheck für den folgenden Monat bei, und ich bat die Hausbewohner inständig, die Mäuse nicht zu jagen und meine Bibliothek zu erhalten. Ich führte Todesfurcht und Wissbegier ins Feld und erläuterte die Bedeutung des Buchs an sich. Um die Sache schmackhafter zu machen, erwähnte ich, dass die Bücher einen gewissen finanziellen Wert hätten. Falls auch dies seine Wirkung verfehlen sollte, drohte ich dem Hausmeister mit einer poetischen Strafe, ich erwähnte Feuer und Brandstiftung und legte zur näheren Erklärung eine extravagante Zeichnung bei, auf der eine große Explosion und bedrohliche Männer in Mäusekostümen zu sehen waren, nackt und mit langen Schwänzen.
    All dies würde nichts nützen, das wusste ich. Ich unterschrieb den Brief, nahm den Teppich meines Vaters und verließ die Wohnung, zog die Tür hinter mir zu und ging nach unten. Ich warf den Brief beim Hausmeister ein, entrollte den fliegenden Teppich und flog über die Stadt hinweg. Ich bog ab und tauchte in eine Gasse, so gelang es mir, der Menge zu entkommen.
    Ich erreichte den Fluss und flog unter der Brücke hindurch. Auf Wiedersehen! Als ich die enge Landstraße erreichte, die südlich zu einer kleinen Industriestadt führte, kamen mir die Tränen. Ich landete sicher. Der Teppich schwebte vor dem Eingang, als ich das Hotel betrat, in dem sich einst die Magdalenas den Schlächtern hingegeben hatten. An der Rezeption stand immer noch der Türke, als hätte er sich seit meinem letzten Besuch überhaupt nicht gerührt. Ich fragte nach dem großen Araber. Ja, der ist oben, sagte der Türke. Es ist Monatsende, er steht bestimmt mit seiner Zigarette am Fenster, die Zimmertür steht immer offen …
    Ich ging hinauf und trat in das Zimmer des Arabers, der am Fenster stand. Warte nicht länger, sagte ich, du darfst nicht trauern, sie ist tot, und sie kehrt nicht mehr zurück. Dann ging ich wieder und flog davon.
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