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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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Waffenregisters bei der Volkszählung und bei der Streichung zahlreicher Stellen im Beamtenapparat. Dies führte zu einer Debatte über die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Universitäten und Politik. Schon wurden in den Medien die Kompetenzen der Politiker angezweifelt: Ist der Premierminister nur ein Strohmann für bestimmte ideologische Interessen? Welche Bedeutung haben freie, von der Wirtschaft finanzierte Think Tanks? Wer steckt eigentlich hinter allem? Wer hat in diesem Land das Sagen? Welche Rolle spielen Akademiker und Politiker bei der Neuformulierung unserer gesellschaftlichen Werte?
    Weder Ermittlern noch Journalisten gelang es, die vorerst letzten Opfer der Mordserie miteinander zu verknüpfen. Ihre Lebensgeschichten legten zwar nahe, dass die Morde einen politischen Hintergrund hatten, doch die Taten selbst schienen eher das Werk eines Psychopathen oder Serienmörders zu sein. Man konzentrierte sich demnach auf die Patientenakten des Psychiaters und mögliche radikale Umtriebe der betroffenen Patienten.
    Aus dem Umfeld der Ermittlungen hieß es, dass von den Hunderten von Beamten und Regierungsangestellten, die bei dem Arzt in Behandlung waren, nicht weniger als fünfundsiebzig Prozent Antidepressiva und antipsychotische Medikamente nahmen. In der Ermittlungsbehörde erzählte man sich Witze über ein Land, das von zugedröhnten, als Bürokraten verkleideten Zombies und potenziellen Massenmördern regiert wurde. Ein leitender Beamter, der mit dem Fall befasst war, steckte sich eine Zigarre an und meinte: Was waren das noch für gute Zeiten, als man abends in eine Bar ging, einen kippte, eine Prostituierte mitnahm und am Morgen wieder zur Arbeit erschien? Die Leute wissen nicht mehr, wie man säuft. Pillen gelten als Lösung für alles, das ist der Grund, warum in unserem Land alles den Bach runtergeht.
    Die episkopale Kirche verlangte die Abschaffung des Karnevals, seine heidnischen Wurzeln, behaupteten sie, verführten zu Ausschweifungen und Gewalttaten. Die katholische Kirche sah sich in einer vergleichsweise schwierigen Lage: Der Karneval ist schließlich eng mit dem Kirchenkalender verbunden, noch nie in ihrer Geschichte hatte die Kirche Feste dieser Art untersagt oder verurteilt.
    Ein Sprecher zitierte als Rechtfertigung gar Franz von Assisi, der von »geistigem Frohsinn« gesprochen und sich und seine Gefolgschaft als »Jongleure Gottes« bezeichnet habe. Der eloquente Mann schob die Schuld auf einige dekadente Elemente, die den Karneval, eine ursprünglich friedliche Gemeindeveranstaltung, zu einem drogendurchseuchten Schwulenfest umfunktioniert hätten, wodurch die familienfreundliche Kernbotschaft des Festes überlagert werde.
    Ein Ausschuss wurde gebildet, der nach langen Beratungen die Abschaffung des Karnevals empfahl. Ein von Geschäftsleuten, Konzernen und Sponsoren gebildeter Gegenausschuss drohte, dem Bürgermeister für die anstehenden Wahlen die Unterstützung zu entziehen, falls er den Empfehlungen des ersten Ausschusses folgte.
    Intensiv wurde über eine Verbindung zwischen den Taximorden und den drei weiteren Fällen spekuliert. Am Ende ging man davon aus, dass zwei Mörder am Werk gewesen waren. Die sogenannten Konzernmorde hatten erkennbar einen psychotischen Hintergrund, die Taximorde eher nicht, sie waren im Modus weniger spektakulär, der Mörder wirkte weniger gestört.
    Lange Zeit schienen die Ermittlungsbehörden keine Fortschritte zu machen, der Durchbruch bei den Konzernmorden kam erst, als Bilder einer Sicherheitskamera des Sportstudios ausgewertet wurden, die zwei sehr unvorsichtige Männer im gestohlenen Auto des Managers zeigten. Es dauerte nicht lange, bis die Ermittler Fingerabdrücke fanden, die zu einem vorbestraften Jugendlichen führten.
    Die Konzernmorde gingen offenbar auf das Konto von zwei sechzehnjährigen Jungen namens Tammer Gonzalez Othman und Billy Bloom (genannt Skippy, die Wanze). Nach kurzer, intensiver Fahndung wurden sie verhaftet und verhört.
    Zur Überraschung der Polizei bekannte sich »Skippy« umgehend zu allen drei Morden, der Junge nannte Namen und Adressen der Opfer, lieferte genaue Beschreibungen der Morde und imitierte sogar die Stimmen der um ihr Leben bettelnden Opfer. Er belastete auch seinen Partner Tammer. Als man ihn fragte, wie sie ihre Opfer ausgewählt hätten, erwähnte er eine Liste, die sie in der Wohnung von einem gewissen Otto gefunden hätten.
    Der Junge war unfähig zu lügen, er zeigte laut einem Polizeibericht
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