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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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zugestochen. Der Taxifahrer hatte wohl noch versucht, ans Ufer zurückzuschwimmen, doch seine Wunden bluteten so stark, dass er bald entkräftet aufgab und ertrank. Sein Cousin, Nummer 59, erzählte, dass sie in der Karibik aufgewachsen waren, sie hätten als Fischer gearbeitet und seien beide ausgezeichnete Schwimmer gewesen. Tod durch Ertrinken, stand auf dem Totenschein. Nummer 18 war ein tiefgläubiger Christ, ein neu erweckter Baptist, und teilte mit der Gemeinde den Glauben, dass im nächsten Leben alles besser würde.
    Alle fünf Morde wurden innerhalb von zwei Tagen verübt. Wie sich leicht feststellen ließ, waren die Mörder jeweils in der Innenstadt eingestiegen, irgendwo zwischen dem Einkaufsviertel und dem Fluss.
    Die Aufzeichnungen in der Zentrale zeigten, dass keiner der Fahrer aus einem Haus oder von einer festen Adresse gerufen worden war, vermutlich waren die Taxis einfach angehalten worden, vielleicht war der Mörder an einem Taxistand eingestiegen. Was die Polizei glauben ließ, dass er seine Opfer zufällig gewählt hatte.
    Und doch gab es einige Gemeinsamkeiten. Die Opfer waren alle männlich, und sie waren alle Migranten – relative Neuankömmlinge in diesem Land. Alle arbeiteten nachts, keiner von ihnen zeigte Spuren, die auf einen Kampf hinwiesen. Tatsächlich schien es, als hätten die Opfer sich mit dem Mörder unterhalten, die letzten Zigaretten, die sie geraucht hatten, waren alle von der gleichen Marke.
    Auffällig war, dass in allen Wagen derselbe Radiosender lief, er spielte hauptsächlich Hip-Hop, was die Polizei zu der Vermutung veranlasste, dass ein junger Schwarzer, vielleicht mehrere, für die Morde verantwortlich waren. An einen Zufall wollte niemand glauben, die Wahrscheinlichkeit, dass fünf Migranten mittleren Alters diesen Sender hörten, war gering.
    Unter den Taxifahrern brach Panik aus. Die Behörde organisierte einen Protestzug, siebenhundert Wagen fuhren durch die Innenstadt und verursachten einen gigantischen Stau. An den Fenstern der Autos flatterten die Landesflaggen der Ermordeten, schwarze Schleifen und große, kopierte Fotos. Die trauernden Familien fuhren ganz vorn in der Parade, einige gingen zu Fuß neben den Taxis her. Kinder, die Fotos ihrer ermordeten Väter vor sich hertrugen, wurden von Journalisten und Fotografen regelrecht überfallen.
    Für junge schwarze Männer war es von nun an unmöglich, ein Taxi heranzuwinken. Vor den Clubs, in denen Hip-Hop, R&B oder gar Jazz gespielt wurde, standen zur Sperrstunde keine Taxis mehr. Wenn um zwei Uhr die Bahnen und Busse nicht mehr fuhren, kam es vor, dass junge Schwarze auf die Fahrbahn rannten und sich den Taxis in den Weg stellten, sie winkten und trommelten gegen Scheiben und Motorhauben, um mitgenommen zu werden. Als eines Nachts mehrere junge Schwarze versuchten, sich mit Gewalt in ein Taxi zu drängen, kam es zu einem Handgemenge, die Polizei wurde gerufen und verhaftete mehrere der Beteiligten.
    Die Taxibehörde gab dem Bürgermeister die Schuld an den Morden, er hatte sich geweigert, den Einbau von Trennscheiben zwischen Fahrer und Passagierraum zu erlauben. Die Scheiben hätten bedeutet, dass nicht mehr als drei Passagiere mitfahren durften. Da die Stadt bemüht war, Familien und Touristen anzuziehen, wurde eine Regelung bevorzugt, die eine Fahrt zu viert weiterhin zuließ. Die Antidiskriminierungsliga beschuldigte die Taxifahrer und die Behörde. Ein Taxifahrer aus dem Mittleren Osten wurde gefilmt, als er sagte, alle Probleme kämen von denen  – den Schwarzen, das Interview lief in den Abendnachrichten. Als irgendwelche Aktivisten und schwarze Gemeindeführer den Taxifahrer stellten, erklärte er, als Moslem unterscheide er nicht zwischen den Rassen, der Prophet, Friede sei mit ihm, hätte die guten Moslems ermuntert, alle Rassen gleich zu behandeln. Trotzdem stimmt es, sagte der Fahrer, dass die jungen Schwarzen in dieser Stadt unmoralisch sind und eine Gefahr darstellen.
    Beim Trauergottesdienst für Nummer 18 beschuldigte der Priester die örtlichen Radiosender, den Hass zu schüren und die Jugendlichen aufzuwiegeln, er forderte ein Verbot von gewaltverherrlichenden Liedern, in denen Frauen als Nutten und Huren bezeichnet werden.
    Ein Musikproduzent gab in einer Fernsehsendung zu bedenken, dass Hip-Hop nicht nur von Schwarzen gehört würde, sondern von allen Rassen und gesellschaftlichen Gruppen, was er mit Verkaufsstatistiken belegte. Als der Politiker noch einmal die Gewaltausdrücke in
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