Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
Vom Netzwerk:
und der Hut mit dem Geld verschwunden.
    Ich fuhr los, ohne das Dachschild einzuschalten, ich wusste nicht, wohin. Es war Rushhour, ich hätte leicht ein paar Kunden aufsammeln können. Aber ich hatte keine Lust. Ich fuhr aus der Stadt. Meine Räder trugen mich zum Fluss, bis an die Brücke, unter der Otto einst gelebt, getrunken und geschlafen hatte.
    Nicht Otto hatte die Stelle, so seine schlichte Bezeichnung für den Ort, entdeckt, auch nicht Tammer, sondern Fredao. Otto und Fredao hatten lange Nächte hier verbracht, sie hatten gestritten und gesoffen, sogar, wenn man sie beim Wort genommen hätte, Verschwörungen angezettelt. Manchmal kam Tammer dazu, er wartete, bis seine Mutter von ihren nächtlichen Ausflügen zurückkehrte, und hörte den Männern zu, wie sie über Politik und Macht sprachen. Einmal zeigte Fredao dem Jungen seine Pistole. Hier, mein Sohn. Nein, ich bin nicht dein Vater, nur weil ich dich Sohn nenne. Ich weiß aber, wer dein Vater ist. Du bist der Bastard eines Arabers. Die Araber waren die Ersten, die mein Volk versklavt haben, sie haben uns an die Portugiesen verschachert. Du, mein Sohn, du bist zur Hälfte spanischer Massenmörder und zur Hälfte Sklaventreiber. Alles Blödsinn, das ganze religiöse Mitleidsgewimmer für die Sklaven, das ist alles Blödsinn. Ein Sklave ist ein Sklave. Die Offenbarungsbücher wollen dir weismachen, dass Sklaven Mitleid verdienen, aber das stimmt nicht. Komm mal her, Kleiner. Ich will dir zeigen, was Macht ist, damit du für immer frei bist. Nimm die Pistole, so, halt sie gut fest, und jetzt schieß auf die Flasche da.
    Die Matrosen draußen auf den Frachtern müssen diese Schüsse gehört haben, vielleicht ging es ihnen am Arsch vorbei, vielleicht waren sie auch nur genauso besoffen wie die Leute am Ufer, sie standen unsicher auf wankenden Decks und warteten gelangweilt auf den Befehl, die Anker zu lichten.
    An den Wochenenden sah Tammer diesen Matrosen manchmal zu, er hockte unter der Brücke und beobachtete, wie sie torkelnd vorbeizogen, sie grölten immer dieselben Lieder. Was ihn erstaunte, waren weniger ihre Akzente, ihre Uniformen, die fehlenden Krawatten oder verrutschten Hüte als die Tatsache, dass sie alle dieselben Lieder kannten. Keiner von ihnen fiel je aus der Reihe, egal, wie besoffen er war. Fredao schimpfte über die Matrosen, dreckiges Pack, rief er, Bastarde! In einem früheren Jahrhundert hätten die Jagd auf mich gemacht, sie hätten mich in Ketten gelegt und gezwungen, ihr rattenverpestetes Schiff zu rudern.
    Manchmal sah man die Matrosen essen, dann blickte Tammer ihnen neidisch und hungrig hinterher. Fleisch, sagte er und zeigte auf die Männer, sie essen Fleisch. Ja, das sind doch alles dreckige Kannibalen, sie würden bestimmt auch Menschenfleisch fressen.
    Was ist das, Kannibalen?, fragte Tammer.
    Menschen, die andere Menschen essen, antwortete Fredao.
    Auf dem Weg zur Brücke hielt ich an einem Kiosk, kaufte Kaffee und Gebäck. Ich fuhr zur Stelle, parkte und stieg aus.
    Zwei Jungen schliefen in einer Hütte aus Karton, sie lagen eng beieinander unter einer einzigen Decke. Es waren Tammer und sein Freund Skippy, die Wanze. Neben der Schlafstätte stand eine kleine Blechtonne, in der unter verkohlten Holzresten ein wenig Glut zu sehen war. Ich wartete eine Weile, trank meinen Kaffee und rauchte, dann trat ich näher. Eine Menge leerer Bierflaschen lag herum und eine halbe Flasche Johnnie Walker. Ich wollte gerade in die Hocke gehen, um Tammer zu wecken, als Skippy die Decke aufschlug und mit einer Pistole auf mich zielte.
    Skippy, ich bin’s, Fly, sagte ich, leg die Pistole weg.
    Er gackerte schon wieder, und Tammer, der all das in seinem Traum wohl längst vorweggenommen hatte, zog die Decke über den Kopf und gackerte auch.
    Fly, hast du mal fünfzig Dollar?, fragte Tammer von unter der Decke, die Bitte zog lautes Gelächter nach sich.
    Steh auf, Tammer, sagte ich, und du, Junge, leg endlich die Knarre weg. Wo hast du die eigentlich her?, fragte ich Skippy.
    Die Antwort kam von Tammer: Hab ich geerbt. Was gibt’s denn, Fly?
    Hier hast du einen Kaffee, komm, wir machen einen Spaziergang.
    Scheiße, Mann, es ist saukalt. Ich muss pissen. Scheißfusel, das ist doch Selbstmord, ein beschissener Selbstmord, den ich rauspissen muss.
    Er pisste an einen Pfeiler, ich erkundigte mich nach seiner Mutter.
    Geht ihr nicht gut, sagte er. Sie ist noch im Krankenhaus. Ich geh sie morgen mal besuchen.
    Ich komme mit, sagte ich. In welchem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher