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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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entdeckte den Wagen. Nummer 6 war mit einem Schuss in die Schläfe ermordet worden, offenbar vom Beifahrersitz aus, die Fahrerseite und die Seitenscheibe waren vollgespritzt mit Blut. Der Wagen war Beweismittel und würde beschlagnahmt bleiben, der Partner des Verstorbenen, unsere Nummer 107, hängte nach fünfzehn Jahren den Job an den Nagel und dachte darüber nach, ein Restaurant aufzumachen.
    Nummer 48 kniete noch am Boden, als er gefunden wurde, unten bei den Gleisen. Man hatte ihn mit einem Stein erschlagen. Er wurde von zwei Obdachlosen gefunden, das laute Surren der Fliegen hatte sie aufmerksam gemacht, dann sahen sie einen Straßenköter, der mit einem menschlichen Arm im Maul abzog. Sie gingen zu dem Wagen, rochen den Toten und entdeckten die Leiche. Die Polizei kam, eine Horde von Fotografen rückte an und konnte gar nicht genug von der Szene kriegen. Die beiden Penner posierten vor dem Auto. Sie lächelten, es gab keinen Redaktionssaal, in dem nicht Witze über ihre Zahnlücken gerissen wurden.
    Nummer 48 hinterließ eine junge Witwe und zwei kleine Kinder. Die Frau hatte kein Einkommen und keine Verwandten im Land, sie kehrte nach Algerien zurück und wurde von ihrem Bruder und seiner Frau aufgenommen.
    Nummer 96 starb durch Genickbruch. Sein Wagen wurde auf einer Heuwiese gefunden. Das Radio lief noch, es plärrte die ganze Nacht. Am Morgen nahm der Farmer seine Flinte und fuhr mit dem Pick-up hin. Später klagte er, die Musik sei bis zu seinen Ställen heraufgedrungen, die Kühe hätten sich gefürchtet und seien um den Schlaf gebracht worden.
    Die vier Brüder des Mordopfers, die wie er erst kürzlich aus dem Ostblock eingewandert waren, soffen bis in die frühen Morgenstunden. Zwei waren dafür, die Leiche im neuen Land, so ihr Ausdruck, zu begraben, die anderen wollten sie dorthin zurückschicken, wo er geboren worden war. Sie stritten und soffen, sie sangen und weinten und schlugen aufeinander ein, bis jemand die Polizei rief. Alle vier landeten im Gefängnis.
    Nummer 72, genannt die Sexspinne, wurde zuletzt gesehen, als er mit einer Prostituierten am Arm in ein Hotel schlenderte. Er zog die ruhigere Nachtschicht vor, tagsüber störten ihn die vielen Staus. Außerdem hatte er einige Stammkunden, die er morgens früh zum Flughafen fuhr, das lohnte sich immer.
    Abends wartete er immer vor der Zentrale eines großen Konzerns auf eine schwere, üppige Dame, die er nach Hause fuhr. Über die Jahre hatten sie Vertrauen zueinander gefasst und geilten sich aneinander auf, indem sie sich ihre sexuellen Phantasien erzählten. Sie gab ihm jedes Mal reichlich Trinkgeld. Das nur sprachliche erotische Spiel war schon seit Jahren im Gange, als sie ihn einmal in ihre Wohnung einlud. Sie kettete ihn ans Bett und ließ ihn allein. Zwei Tage lag er da, ohne Nahrung, ohne Wasser. Als sie zurückkam, war er so verdurstet, dass er wirres Zeug redete. Als er sie später fragte, warum sie es getan hatte, sagte sie nur: Du hast es so gewollt.
    Sein Wagen wurde unter einer Brücke gefunden, in Tür und Windschutzscheibe waren fünf Einschusslöcher. Der Mörder hatte also draußen neben dem Auto gestanden und geschossen, stellte die Polizei fest. Eine Menge Frauen kamen zur Beerdigung, die Männer waren fast alle Taxifahrer. Familie hatte er offenbar keine, über seine Herkunft war kaum etwas bekannt. Schade, dass wir ihn nicht gefragt haben, sagte Nummer 92. Wir waren viel zu beschäftigt mit seinen sexuellen Eskapaden. Mann, der Typ war wirklich lustig.
    Zur Totenwache erschien eine Gruppe von fünf Transvestiten und zwei Frauen, gemeinsam standen sie um den Sarg. Am lautesten weinte eine Dame namens Larry, auch bekannt als Limo. Während der Zeremonie stand sie auf, sagte, macht mal das Licht aus, alle Lichter. Ich zeige euch mal, was Mani von uns allen gehalten hat. Sie stellte sich vor dem Sarg auf, und ein Strahlen ging von ihr aus. Bald glühten hier und da auf den Brüsten der Versammelten kleine Lichter auf. Am hellsten strahlten neben Limo die beiden Frauen, selbst ein Taxifahrer, der in einer Ecke stand, schimmerte ein wenig.
    Nummer 18 wurde aus dem Fluss gefischt, seinen Wagen fand man sechs Meilen flussaufwärts. Er hatte mehrere Stichwunden, die Autopsie ergab, dass er noch lebte, als er in den Fluss geworfen und von der Strömung erfasst wurde, die ihn davontrug. Auf einer Holzbohle der Uferpromenade, nicht weit vom Auto entfernt, wurden Blutspuren gefunden, dort hatte der Mörder offenbar
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