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Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Titel: Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
Autoren: Paul Watzlawick
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Einleitung  
     
     
    » W as kann man nun von einem Menschen… erwarten? Überschütten Sie ihn mit allen Erdengütern, versenken Sie ihn in Glück bis über die Ohren, bis über den Kopf, so daß an die Oberfläche des Glücks wie zum Wasserspiegel nur noch Bläschen aufsteigen, geben Sie ihm ein pekuniäres Auskommen, daß ihm nichts anderes zu tun übrigbleibt, als zu schlafen, Lebkuchen zu vertilgen und für den Fortbestand der Menschheit zu sorgen – so wird er doch, dieser selbe Mensch, Ihnen auf der Stelle aus purer Undankbarkeit, einzig aus Schmähsucht einen Streich spielen. Er wird sogar die Lebkuchen aufs Spiel setzen und sich vielleicht den verderblichsten Unsinn wünschen, den allerunökonomischsten Blödsinn, einzig um in diese ganze positive Vernünftigkeit sein eigenes unheilbringendes phantastisches Element beizumischen. Gerade seine phantastischen Einfälle, seine banale Dummheit wird er behalten wollen…«
     
    Diese Worte stammen aus der Feder des Mannes, den Friedrich Nietzsche für den größten Psychologen aller Zeiten hielt: Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Und doch drücken sie, wenn auch in beredterer Sprache, nur das aus, was die Volksweisheit seit eh und je weiß: Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen.
    Es ist höchste Zeit, mit dem jahrtausendealten Ammenmärchen aufzuräumen, wonach Glück, Glücklichkeit und Glücklichsein erstrebenswerte Lebensziele sind. Zu lange hat man uns eingeredet – und haben wir treuherzig geglaubt –, daß die Suche nach dem Glück uns schließlich das Glück bescheren wird.
    Dabei ist der Begriff des Glücks nicht einmal definierbar. So wurden zum Beispiel die Hörer der 7. Folge des Abendstudios des Hessischen Rundfunks im September 1972 Zeugen der zweifellos befremdenden Diskussion zum Thema »Was ist Glück?« [11] 2 , in deren Verlauf es vier Vertretern verschiedener Weltanschauungen und Disziplinen nicht gelang, sich auf die Bedeutung dieses scheinbar so selbstverständlichen Begriffs zu einigen – und das trotz der Bemühungen des eminent vernünftigen (und geduldigen) Gesprächsleiters.
    Das sollte uns eigentlich nicht überraschen. »Worin das Glück besteht, darüber waren die Meinungen immer geteilt«, lesen wir in einem Essay des Philosophen Robert Spaemann über das glückliche Leben [22]: »289 Ansichten zählte Terentius Varro und ihm folgend Augustinus. Alle Menschen wollen glücklich sein, sagt Aristoteles.« Und Spaemann erwähnt dann die Weisheit eines jüdischen Witzes vom Sohn, der dem Vater eröffnet, er wolle Fräulein Katz heiraten. »Der Vater widerspricht. Fräulein Katz bringe nichts mit. Der Sohn erwidert, er könne nur mit Fräulein Katz glücklich sein. Darauf der Vater: ›Glücklich sein, und was hast du schon davon?‹«
    Die Weltliteratur allein schon hätte uns längst mißtrauisch machen sollen. Unglück, Tragödie, Katastrophe, Verbrechen, Sünde, Wahn, Gefahr – das ist der Stoff, aus dem die großen Schöpfungen bestehen. Dantes Inferno ist ungleich genialer als sein Paradiso ; dasselbe gilt für Miltons Paradise Lost , demgegenüber Paradise Regained ausgesprochen fade ist; Jedermanns Sturz reißt mit, die ihn schließlich rettenden Engelchen wirken peinlich; Faust I rührt zu Tränen, Faust II zum Gähnen.
    Machen wir uns nichts vor: Was oder wo wären wir ohne unsere Unglücklichkeit? Wir haben sie bitter nötig; im wahrsten Sinne dieses Wortes.
    Unseren warmblütigen Vettern im Tierreich geht es nicht besser: Man besehe sich nur die monströsen Wirkungen des Zoolebens, das jene herrlichen Kreaturen vor Hunger, Gefahr und Krankheit (einschließlich Zahnfäule) schützt und damit zu den Entsprechungen menschlicher Neurotiker und Psychotiker macht.
    Unserer Welt, die in einer Flutwelle von Anweisungen zum Glücklichsein zu ertrinken droht, darf ein Rettungsring nicht länger vorenthalten werden. Nicht länger darf das Verstehen dieser Mechanismen und Prozesse die eifersüchtig gehütete Domäne der Psychiatrie und der Psychologie bleiben.
    Die Zahl derer, die sich ihr eigenes Unglück nach bestemWissen und Gewissen selbst zurechtzimmern, mag verhältnismäßig groß scheinen. Unendlich größer aber ist die Zahl derer, die auch auf diesem Gebiet auf Rat und Hilfe angewiesen sind. Ihnen sind die folgenden Seiten als Einführung und Leitfaden gewidmet.
    Diesem altruistischen Vorhaben kommt aber auch staatspolitische Bedeutung zu. Wie die Zoodirektoren im kleinen, so haben es
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