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Todesspur

Todesspur

Titel: Todesspur
Autoren: Susanne Mischke
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    Halb vier, Stella ist auf dem Nachhauseweg von ihrer Arbeit, und wie üblich ist sie um diese Zeit schon ziemlich voll. Der Monatserste liegt noch nicht lange zurück, und ein Gast im Rocker war spendabel gewesen. Mitkommen auf eine Nummer wollte er aber nicht. Das erlebt Stella inzwischen zu oft: Die Männer sind nicht mehr scharf auf sie, sondern geben ihr aus Mitleid einen aus. Aber zum Glück sind nicht alle so, manche finden sie immer noch sexy, und für eine Frau, die auf die fünfzig zugeht, hat sie noch immer eine sensationelle Figur. Bei diesem Gedanken öffnet sie den Reißverschluss ihrer Kunstpelzjacke und befühlt ihre Brüste unter der straff gespannten Polyesterbluse. Vor Jahren schon hat sie sie vergrößern lassen, eine lohnende Investition, der Meinung ist sie noch heute. Ein Windstoß faucht durch die Unterführung der Kopernikusstraße und veranlasst sie, den Reißverschluss rasch wieder zu schließen. Sie schlägt den Kragen hoch und stöckelt auf ihren weißen Lackstiefelchen weiter. Ihre Beine, die von einem Minirock und Netzstrümpfen in Szene gesetzt werden, können sich sehen lassen, das muss sogar Niko zugeben, der sonst immer behauptet, sie wäre eine abgetakelte Schnapsdrossel und ihre beste Zeit läge zwanzig Jahre zurück. Es sind feste, lange Beine, die den Kerlen die Augen aus den Höhlen getrieben haben, damals, als sie noch Stripperin gewesen ist. Das waren noch schöne, einträgliche Zeiten. Heutzutage, das kam neulich im Fernsehen, gibt es schon Kurse an der Volkshochschule, in denen Büromiezen das Strippen beigebracht wird. Zum Lachen ist das, wenn es nicht so traurig wäre!
    Stellas richtiger Name lautet Heidrun Bukowski. Bukowski wie der amerikanische Schriftsteller, von dem sie aber nie etwas gelesen hat, denn Lesen war nie so ihr Ding. Stundenlang auf Buchstaben zu starren macht sie ganz hibbelig, schon in der Schule konnte sie das nicht leiden, weshalb sie sie nach acht Jahren verließ. Sie schlug sich als Bedienung durch, posierte in Peepshows und strippte in den Bars des Steintorviertels. Mit neunzehn heiratete sie besagten Bukowski, einen Kneipenbesitzer. Der Mann war wesentlich älter als sie. Er war außerdem nett und großzügig und wollte in erster Linie jemanden haben, der da war, wenn er spätnachts nach Hause kam. Aber genau damit hatte Heidrun ein Problem gehabt. Wenn sie sehr betrunken war, dann erzählte sie ihm beim Nachhausekommen, mit welchem Typen sie gerade gevögelt hatte. Fünf Jahre lang ging das so, dann warf ihr Mann sie schließlich raus, ohne einen Pfennig Geld. Von da an nannte sich Heidrun »Stella«, denn sie beschloss, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Eine Zeit lang war sie unbestritten die heißeste Nummer auf der Ludwigstraße. Aber die Konkurrenz in der Messestadt war auch damals schon groß, und Stella wurde nicht jünger. Lange her, das alles.
    Den Straßenstrich und die Drogen hat sie schon vor Jahren hinter sich gelassen, nur vom Suff kommt sie nicht los. Jetzt tun ihr die Füße weh, und der Heimweg kommt ihr endlos lang vor.
    Geschafft! Stella ist jedes Mal froh, wenn sie die Unterführung hinter sich gelassen hat. Sie hat keine Angst vor der düsteren Röhre, aber unter den Gleisen des stillgelegten Güterbahnhofs stinkt es elend nach Pisse, und man muss aufpassen, dass man nicht in Taubenscheiße tritt. Nein, dies hier ist keine Gegend für eine Lady, die allein zu Fuß unterwegs ist. Früher, erinnert sie sich, gab es über dem Tunnel, auf der Westseite der Gleise, mal einen Puff. Aber dort hat sie nie gearbeitet, das war nicht ihre Kragenweite, so eine Bretterbude.
    Kein Mensch ist unterwegs, und schon wieder fängt es an zu nieseln. Kurz nachdem sie in die Emil-Meyer-Straße eingebogen ist, hört sie, wie sich ein Wagen nähert. Scheinwerferlicht versilbert die Pfützen. Stella bleibt unter einer Straßenlaterne stehen, öffnet die Jacke, streckt ihr Spielbein vor und drückt das Kreuz durch. Man weiß ja nie. Doch das Auto rauscht an ihr vorbei, und die Reifen lassen einen Vorhang aus Wasser in die Höhe schießen.
    »Verdammte Drecksau«, kreischt Stella und schüttelt die Faust hinter dem Wagen her, ehe sie sich das kalte Gemisch aus Wasser und Straßenstaub aus dem Gesicht wischt. Irgendwie hat diese Situation etwas Symbolisches, denkt sie in einem Anfall von Selbstmitleid. Genauso verläuft mein Leben: Die anderen ziehen an mir vorbei, und mir bleibt eine Handvoll Dreck.
    Stellas Eltern hatten gegen Ende des Zweiten
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