Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silberhuf

Silberhuf

Titel: Silberhuf
Autoren: Alan Winnington
Vom Netzwerk:
uns da draußen mit einer zwei Meter langen Keule auflauerte, um uns zum Frühstück zu verspeisen.

Drittes Kapitel
    Ich habe Vaters Bücher alle gelesen, und ich weiß, wie oft er sich in schwierigen Situationen befand. Aber jetzt erlebte ich ihn das erste Mal in Aktion. Und ich muß sagen, er imponierte mir wirklich. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, riß er sein Gewehr von der Schulter und feuerte einen Schuß ab, mitten durch die Tür. Das Getöse im Felsinneren schmiß mich beinahe um, und ich konnte kein Wort von dem verstehen, was Vater mir zuschrie.
    Als mein Schädel aufhörte zu brummen, hörte ich ihn sagen: „Gib mir Deckung mit deinem Gewehr, während ich die Türaufstoße. Laß die Finger vom Abzug und mach keinen Unsinn. Schieß nicht, bevor du sicher bist, daß du mich nicht erwischst.“
    Er knipste die Taschenlampe aus. Dann klammerte er sich an einen vorstehenden Felsbrocken, gab der Tür einen kräftigen Stoß und wich sofort mit angelegtem Gewehr in die Höhle zurück. Wir spähten über den Felsvorsprung vor dem Tempel nach unten. Aber dort war nichts. Vater legte sich auf den Boden, kroch im Schatten einige Zentimeter vorwärts und suchte zuerst die eine und danach die andere Seite ab.
    „Nichts zu sehen“, sagte er, „muß der Wind gewesen sein. Aber es wird gleich dunkel, und wir sind hier nicht gerade in einer günstigen Lage. Das beste ist, wir brechen auf und holen gleich unsere Sachen. Morgen werden wir uns das ganze gründlich ansehen.“
    Er konnte es sich allerdings nicht verkneifen, auf unserem Weg nach unten einen argwöhnischen Blick in das Lamakloster zu werfen. Er wollte sich vergewissern, daß die Staubschicht noch unberührt war.
    Also gut, es war der Wind, aber der Schock saß mir trotzdem in den Gliedern und machte mich ein bißchen unsicher. Ich wich Vater nicht von der Seite, als wir unsere Sachen aus dem Jeep holten. Dabei malte ich mir aus, wie schön es wäre, in Delhi zu sein. Mama käme ins Zimmer und gäbe mir einen Gutenachtkuß.
    Wir schleppten unsere Schlafsäcke vorbei an den böse aussehenden Statuen mit ihren starren Augen, ihren Schweineschnauzen und Armen, die wie Spinnenfüße aus ihren Leibern herausstachen. Wir mußten zweimal gehen, bevor wir uns wohnlich eingerichtet, die Falltür verrammelt und unser Fenster mit einer großen verrotteten Decke aus der Gebetshalle verdunkelt hatten.
    Es war pechschwarz. Wir schalteten unser Kofferradio ein und hörten die Mittagsnachrichten aus London, denn dort war heller Tag, und die Sonne schien.
    Mein Vater kippte eine Büchse mit Schmorfleisch in den Topf, schmiß etwas Trockengemüse und eine Handvoll Kartoffelpulver dazu, und fertig war eine dicke, suppige Angelegenheit — äußerst zufriedenstellend, Vater sagte, es sei so etwas wie deutscher Eintopf. Mit diesem Essen im Bauch fragte ich mich, warum ich mich überhaupt gefürchtet hatte.
    Nach dem Essen absolvierten wir unsere tägliche „Hygienepflicht“, wie Vater es nannte. Zum Waschen machten wir uns das Quellwasser zunutze, das über den Felsen tröpfelte und über das Dach in eine kleine Steinmulde geleitet wurde. Zuerst kamen wir dran und dann unsere Unterhosen und Socken. Meistens hängten wir sie über den Jeep, damit sie tagsüber trocknen konnten. Auf diese Weise wechselten wir täglich unsere Unterwäsche und die Strümpfe. Mein Vater meinte, das sei zwar immer wichtig, aber ein absolutes Muß auf anstrengenden Reisen. Man fühlt sich tatsächlich viel wohler.
    Sobald sich der Wind gelegt hatte, herrschte Totenstille. Nur gelegentlich hörte man ein leichtes Knarren des Gebäudes.
    Wenn die Sonne untergeht, wird es in einer Höhe von viertausend Metern schlagartig bitterkalt. Wir mummelten uns deswegen in unsere Pelzmäntel ein, bevor wir auf das Dach kletterten, um uns noch einmal umzugucken. Mein Vater rauchte seine letzte Pfeife vor dem Schlafengehen. Über uns hob sich die Milchstraße wie ein weißes Band vom Himmel ab, und alle Sterne erschienen uns zweimal so groß. Sie leuchteten viel heller, als wenn man sie von unten, dicht über dem Meeresspiegel, betrachtet.

    Unter uns war alles stockfinster. Nicht einmal unseren Jeep konnten wir erkennen. Im Inneren dieser Felswände herrschte eine Ruhe und ein Friede, so tief, wie ich es nie für möglich gehalten hatte. Absolute Ruhe, kein Baum rauschte, nicht einmal ein Grashalm bewegte sich, und alles, was ich hören konnte, war mein eigener Atem und mein eigener Herzschlag.
    Am nächsten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher