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Silberhuf

Silberhuf

Titel: Silberhuf
Autoren: Alan Winnington
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zwei Kilometer entfernt machte es einen Bogen, so daß man das Ende nicht sehen konnte. Wie die anderen in dieser Gegend war es platt wie ein Billardtisch. Rechts ragte ein großer Bergrücken in das Tal hinein und versperrte uns die Sicht.
    „Komisch“, sagte mein Vater, „um den Berg scheint sich ein Pfad zu winden.“
    Ich sah ihm an, daß er beunruhigt war. Deshalb fuhr er rund um das Tal herum, anstatt den Berg direkt anzusteuern. Er parkte. Wir kletterten aus dem Jeep heraus und schlichen vorsichtig ringsherum, bis wir sehen konnten, was dahinter war. Obwohl wir nichts Besonderes entdecken konnten, schien es uns doch so, als ob dort früher einmal ein Fußpfad gewesen wäre. Irgendwie sah das Gras niedergetreten aus. Aber es war bestimmt lange her, daß jemand dort gegangen war.
    Wir hielten uns dicht an den Bergfuß und entdeckten nach einer Viertelmeile plötzlich eine Öffnung zwischen zwei senkrechten Felswänden. Sie war von weitem unsichtbar, selbstnoch aus der Entfernung von fünfzig yard, aber sobald man näher herankam, sah man, daß der Eingang mitten in den Felsen hinein mündete, wie ein glatter sandiger Weg.
    Vater griff nach seiner Coltbüchse und sagte mir, ich solle meine auch laden. Er hatte eine wunderbare Waffe, eine Expreß-Schrotflinte, zwölf Millimeter, mit aufgesetztem Zielfernrohr. Mein Gewehr war ähnlich, aber billiger. Er lud beide Läufe und ließ einige Extra-Expreß-Patronen in die Gurte seines Buschhemdes gleiten. Wegen des ohrenbetäubenden Lärms, den der Jeep in dem von Felsen eingeschlossenen Raum verursachte, war es allerdings unmöglich, unsere Ankunft geheimzuhalten.
    „Vielleicht ist dies hier die Auffahrt zum Hause eines Schneemenschen“, sagte mein Vater. „Ich hab zwar noch nie gehört, daß sie sich auch außerhalb der ewigen Schneeregion aufhalten.“
    Ich blickte mich ängstlich nach allen Seiten um, darauf gefaßt, jeden Augenblick einem dieser behaarten Riesen zu begegnen, der, lässig über einen Felsen gelehnt, nur darauf wartete, uns mit seinen Pranken, jede so groß wie Krangreifer, aus dem Jeep herauszuziehen. Ich wünschte mir sehnlichst, der Motor würde nicht solchen Krach machen.
    Aber gleich um die Ecke mündete der schmale Pfad in einen kleinen runden Platz. Er war völlig eben und ringsherum von hohen Felswänden, die schroff in die Höhe ragten, eingeschlossen. Der Platz war so klein, daß die direkt einfallenden Sonnenstrahlen nicht einmal den flachen, sandigen Boden erreichten. In der Mitte der gegenüberliegenden Felswand funkelte uns in der strahlenden Sonne ein Lamakloster entgegen, in Rot, Weiß und Gold. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Die Bauart und die Farben waren zu eindeutig. Selbst ohne die goldeneDachdekoration, die in der Sonne wie Feuer funkelte, gab es keinen Zweifel.

    In diesem Augenblick hustete und spuckte der Jeep, und plötzlich blieb er stehen. In dieser Stille saßen Vater und ich da wie angegossen und starrten auf das sonnenüberflutete Lamakloster. Ich wartete jeden Augenblick darauf, daß, wie üblich, einige Lamas in ihren weinroten Roben auftauchen würden, um uns neugierig zu beäugen — schmutzige Männer mit schwarzen Fingernägeln, kurz geschorenem Haar, mufflig und nach ranziger Butter stinkend. Aber es blieb totenstill. Das einzige lebende Wesen weit und breit war ein Geier, ein Lämmergeier. Er schwebte ruhig, ohne seine Flügel zu bewegen, hoch über unseren Köpfen und beobachtete uns oder, was wahrscheinlicher war, ein krankes oder verwundetes Tier, in Erwartung seiner nächsten Mahlzeit.
    Mein Vater drückte auf die Hupe. Das Getöse echote rings um die Felsklippen herum. Doch es geschah nichts. Eher wurde es noch stiller.
    „Es ist unheimlich“, sagte ich. „Glaubst du, daß es leer ist?“
    „Vielleicht beten sie alle. Es wird kalt hier im Schatten.“
    Wir schlüpften in unsere Pelzmäntel.
    „Hallo“, schrie mein Vater laut. Aber nichts als sein Echo kam zurück.
    „Einer muß doch Wache halten“, sagte Vater. „Diese Lamaklöster bergen viele Reichtümer.“
    „Meinst du etwa Gold und Juwelen, richtige Schätze?“
    „Ja, genau das, allen möglichen Kram. Die Lamaisten glauben, eine der vielen Möglichkeiten, Ansehen zu erwerben und sich im nächsten Leben einen Platz als höheres Wesen zu sichern, besteht darin, dem Kloster Geschenke zu machen. Die meisten sind ganz hübsch reich.“
    „Würde das nicht bedeuten, daß die reichen Leute im Vorteil sind?“
    Vater lachte.
    „Nicht nur
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