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Silberhuf

Silberhuf

Titel: Silberhuf
Autoren: Alan Winnington
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Morgen besorgten wir uns zwei lange Bretter aus dem Lamakloster, schnitzten mit dem Messer drei Rollklötzer und rückten das Pferd allmählich nach draußen in den Sonnenschein. Nachdem wir den Sattel abgenommen hatten, entdeckten wir, daß ein großer Rückenabschnitt eine Art Futteral darstellte, mit einer schmalen Kerbe ringsherum und einem Griff. Als wir den Deckel hochhoben, gab es einen Knacks. Da der Deckel an Scharnieren hing, konnten wir ohne weiteres hineinblicken. Wenigstens Vater; ich war zu klein.
    „Das ist ein Fund“, sagte er. Ich stellte mir schon vor, es sei voller Schätze, weil im Lamakloster weiter nichts war als diese Statuen. Vater half mir hoch, und schon saß ich auf dem Rücken des Pferdes und spähte hinein. Aber ich sah nur eine Menge Zahnräder und eine große Metallfeder.
    „Sieh dir bloß diese Zahnräder an, handgemacht, Jack“, sagte Vater, „die sind mehr als hundert Jahre alt. Womöglich sogar zweihundert. Und die Feder!“
    Die Feder war gewaltig, wie eine ungeheure große Uhrfeder, die um die Hauptwelle läuft. Vater nahm die Kurbel und setzte sie auf den Wellenzapfen. Aber sie ließ sich nicht drehen. Wir holten uns daher die große Ölkanne aus dem Jeep und ölten alles sorgfältig durch. Danach versuchte Vater erneut die Kurbel zu drehen. Und diesmal bewegte sie sich.
    Von der Vorderfront des Pferdes ertönte plötzlich ein merkwürdiges Pfeifen. Keine richtige Stimme, aber auch keinePferdelaute. Es hörte sich an wie Worte aus einer fremden Sprache. „Es ist Mandarin-Chinesisch“, sagte mein Vater, „verdammt dem Peking-Dialekt ähnlich.“ Er hatte nämlich in seiner Jugend einige Jahre in Peking gearbeitet. Als er die Kurbel weiterdrehte, gab es plötzlich einen lauten Knacks. Danach war ein Klirren zu hören, das langsam in Vibrieren überging. „Feder gebrochen“, keuchte Vater. „Aber es ist noch genug Widerstand da, sie kann noch ein bißchen Arbeit leisten. Versuch du zu drehen, Jack, während ich zuhöre.“ Er zog sein Notizbuch hervor, und ich legte mich mit meinem ganzen Gewicht auf die Kurbel. Sie ließ sich nur sehr langsam drehen. Vorne, im Kopf des Pferdes, begann es wieder zu schwirren, und danach kam die „Stimme“ wieder. Mein Vater schrieb alles in sein Buch. Aber schon nach wenigen Sekunden, sobald das gebrochene Ende der Feder abglitt, kam das Geklirre wieder. „Mach weiter, Jack“, sagte Vater, während er schrieb. Als die Feder zur Ruhe gekommen war, fing ich wieder an, die große Kurbel zu drehen. Dabei schnappte ich nach Luft vor Anstrengung, denn in dieser dünnen Atmosphäre in so großer Höhe bedeutet das Schwerarbeit. Auf Vaters Nase zeigten sich Schweißperlen, so aufgeregt war er.
    „Das reicht“, sagte er endlich, „du kannst jetzt aufhören.“
    „Kannst du es verstehen?“
    „Das meiste, es ist ziemlich einfaches Chinesisch.“ Er streckte mir sein Notizbuch hin, und das ist, was er geschrieben hatte:

    „Was heißt das, Vater?“
    Er begann zu übersetzen: „Mein Name ist Ying t’i Ma, das heißt ‚Pferd mit Silberhufen‘“, erklärte mir Vater. „Ich kann sprechen. Ich kann gehen und laufen. Ich wurde gemacht auf Befehl des Mächtigsten Emir von Glazikstan als ein unterwürfiges Geschenk für den erhabensten mächtigsten Herrscher des Himmlischen Königreiches — das ist China“, sagte Vater — „als ein Zeichen des Beweises für die unzertrennbare Freundschaft zwischen unseren beiden großen Nationen. Ich bitte euch aufzusitzen und mich zu reiten.“
    Wir blickten uns stumm in die Augen. Das einzige, was ich herausbrachte, war: „Manometer!“ Nicht gerade ein sehr geistreicher Kommentar.
    „Wie, zum Teufel, kann es sprechen“, sagte mein Vater und fuchtelte mit seiner Taschenlampe innen im Pferdekopf herum; dabei schob er seinen eigenen so weit hinein wie möglich.
    „Kleine Blasebälge“, rief er in einer durch das Metall gedämpften Stimme. „Das Uhrwerk ist verblüffend. Hab noch nie etwas Derartiges gesehen. Kopf und Beine werden durch Hebel bedient.“
    Sein Kopf kam wieder zum Vorschein.
    „Das ist die Entdeckung des Jahrhunderts. Bestimmt ein Vermögen wert. Wenn wir es doch bloß mit nach Hause nehmen könnten.“
    Er versuchte wieder die Kurbel herumzudrehen. Diesmal rührte sich überhaupt nichts. Das Öl war zu dem gebrochenen Ende der Feder durchgesickert, und die Zahnräder faßten nicht mehr, sie knackten nur bei jeder Umdrehung.
    „Können wir nicht zurückgehen und einen Lastwagen
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