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0866 - Rattennacht

0866 - Rattennacht

Titel: 0866 - Rattennacht
Autoren: Jason Dark
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Beide bewegten sich synchron. Sie waren aufeinander eingespielt. Sie wußten genau, was sie zu tun hatten, und der alte Mann wurde plötzlich zu einer starren Figur, als sie ihn hochhoben und er den Boden unter den Füßen verloren hatte.
    Er schwebte in der Luft.
    Er wagte es nicht, einen Atemstoß aus seiner Mundhöhle fließen zu lassen. Aber ihm war bewußt, daß er einen Fehler begangen hatte. Und in dieser Gegend beging man keine Fehler, wenn man einige Jahre leben wollte.
    Die Griffe waren brutal. Sie quetschten die Haut, die wenigen Muskeln und auch die Sehnen ein, was die beiden Hundesöhne nicht störte. Sie grinsten nur.
    »Bringt ihn mal näher!«
    »Oui, Boß!«
    Der alte Mann wurde gedreht. Ohne ihn loszulassen, gingen die Männer mit ihm auf die Hausmauer zu, dicht neben der Eingangstür. Sie drückten ihn gegen die Mauer, ohne ihn abzustellen, so schwebte er noch immer über dem Pflaster.
    »Laßt ihn fallen!«
    Die Griffe lockerten sich. Der alte Mann rutschte hervor. Er prallte auf und sackte in die Knie, dann in die Hocke. Schützend hob er die Arme über seinen Kopf, starrte aber nach unten. So konnte er sehen, daß sich die beiden Schuhe bewegten. Auf ihren Spitzen waren zwei graue Flecken zu sehen.
    Zwei kleine Schritte noch, dann drehten sich die Füße. Die Spitzen zeigten auf den hockenden Mann, der erbärmlich aussah und vor Furcht zitterte.
    »Schau mich an!« befahl Cunard.
    Der Alte wußte, daß es besser war, wenn er den Kopf hob. Aber er tat es bedächtig, als wäre es die letzte Bewegung in seinem Leben, die er noch genießen wollte.
    Cunard blickte ihn an wie jemand, der sich vor einem Haufen Hundekot ekelte. Für ihn, den Dandy, den Gecken, war der Alte Abschaum.
    Wie er schon aussah! Ein Penner, ein Stück aus der Gosse. Er trug einen alten Mantel aus Sackleinen, braun oder grau, das war im Kunstlicht der Reklamen nicht genau festzustellen. Der Mantel stand offen. Ein Hemd, eine Hose, schmutzige Schuhe, die Löcher aufwiesen. Ein Haarschnitt, der keiner war.
    Unter dem Haar war das Gesicht zu sehen. Es hatte eine ungesunde Hautfarbe. Falten, ein dünner, verkniffener Mund, die normal gewachsene Nase, die Augen…
    Cunard zögerte, bevor er einen zweiten Blick in diese Augen warf. Er hatte beim ersten Hinsehen einen Schauer bekommen. Keine Angst, aber eine Warnung, denn diese Augen waren anders. Zwar sahen sie normal aus, aber die Farbe oder der Blick störte ihn. Das waren nicht die Augen eines alten Mannes, sie sahen jung aus, und sie spiegelten etwas von der Kraft und der Seele des Mannes wider, der vor Cunard am Boden hockte.
    Die Warnung hatte er nicht vergessen. Wäre er allein gewesen, dann hätte er den Kerl sicherlich laufenlassen. Ihm vielleicht noch einen Tritt gegeben.
    Nur war er nicht allein.
    Die beiden Leibwächter standen in seiner Nähe, und es gab auch einige Zuschauer, die in einer respektablen Entfernung standen und wissen wollten, wie es weiterging.
    Cunard war in diesem Viertel bekannt. Man kannte auch seine Brutalität, man war es gewohnt, daß er auf eine bestimmte Art und Weise handelte. Er war wie ein kleiner Fürst, und Fürsten zeigten sehr deutlich, was sie von anderen Menschen hielten. Sie mußten es tun, damit das Fußvolk nicht die Angst vor ihnen verlor. Eine Situation wie diese kam Cunard gelegen, normalerweise, wären da nicht die verdammten Augen gewesen, deren Blicke ihm nicht gefielen.
    Er ignorierte sie endlich.
    »Leck sie sauber!«
    Der Mann schrak zusammen. Er kriegte einen Tritt vom Leibwächter, dann noch einen.
    »Leck sie sauber.«
    »Ja, ich tue es.«
    Cunard grinste in die Runde, als er sah, wie sich der Alte vorbeugte. Beide Männer boten einen krassen Gegensatz. Auf der einen Seite der abgerissene Alte, auf der anderen eben Cunard in seinem weißen Anzug, dem roten Hemd darunter, das natürlich erst kurz vor dem Bauchnabel geschlossen war, damit die Ketten auch blinken konnten. Er duftete nach Haargel und Parfüm. Seine Haut besaß die Farbe reifer Oliven. Im rechten Ohrläppchen steckte ein goldener Ring, und unter seinen Augen schimmerte die Haut heller, weil dort eine leichte Schicht aus Goldpuder klebte. Seine persönliche Note.
    Es hatte sich herumgesprochen, was hier ablief. Dementsprechend war der Pulk der Gaffer größer geworden, und Cunard genoß mal wieder seine Macht.
    Hinter ihm drängten sich kichernde Barmädchen in der offenen Tür. Auch sie wollten schauen, und Cunard genoß es. Er hatte es so gewollt, der Alte
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