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Sieg des Herzens

Sieg des Herzens

Titel: Sieg des Herzens
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Oberkörper war übersät mit blutigen Wunden, die wimmelten von Ungeziefer, Maden, Würmern. Neben ihm stand ein halbzerbrochenes, tönernes Trinkgefäß, in dem sich mehr Schmutz als Flüssigkeit befand. Von der Decke tropfte es in regelmäßigen Abständen auf die Brust des Geschundenen.
    Warum wurde er nicht wahnsinnig? Warum schrie er nicht? Warum schmetterte er den Schädel nicht an einen dieser Quader und machte dadurch Schluß mit sich, seiner Not und seinen Schmerzen? Warum nicht? Warum lebte er noch?
    Mach ein Ende, die Grenze des Erträglichen ist überschritten. Jetzt noch zu leben ist Wahnsinn, sich selbst zu erlösen wäre höchste Stufe der Vernunft. Steh auf und wirf dich gegen die Mauer. Fehlt dir der Mut? Hast du die Tortur bestanden, die Knochenmühle der Geständniserpressung, so hast du Mut genug gezeigt, du Held. Doch wahrscheinlich fehlt dir die Kraft, die man aus deinem zerschlagenen, zerrissenen, angesengten Körper herausgefoltert hat. Du kannst nicht mehr jenes Maß an Bewegung aufbringen, das erforderlich wäre, um dich selbst zu erlösen.
    Und morgen fällt dein Kopf auf dem Markt unter dem Gegröle des Pöbels – das ist die Schande!
    Das darf nicht sein!
    Fühlte der Dichter die Gegenwart eines Menschen im Raum und den herrischen Befehl einer zerrissenen Seele?
    Er öffnete die Augen, sah sein Weib, nicht erschreckt, nicht erfreut, nicht erhoben, nicht erschüttert.
    Schlicht sagte er: »Du …«
    Doch in diesem Wörtchen schwang eine Welt von Empfindungen mit.
    Sie trat näher, langsam, aber nicht zögernd.
    Der erste Engel, dachte das Herz des Dichters, der Vorbote des Paradieses.
    Von seinen Lippen aber floß nur ein zweites »Du …«
    Das sagte mehr als ein Schwall von Klagen oder Äußerungen der Liebe.
    Du …
    Ein Wort wurde zu einem ganzen Programm in geheiligter Stunde, in der ein Mensch sich anschickte, zu scheiden von Licht und Wärme.
    Du …
    Ein Wort wurde zum Gebet.
    Die Frau hielt vor dem Lager an, stand still, roch die Fäulnis des Strohes und des Wassers, hörte es von der Decke tropfen, in gleichen Abständen, taktmäßig, Tropfen auf Tropfen, unentwegt. Sie sah die teils blutigen, teils verschmorten Male auf dem nackten Körper, die Striemen, die Finger ohne Nägel, die man ihnen ausgerissen hatte, sah die geschwollenen Fuß- und Handgelenke mit ihren Spuren von den Streckseilen, sah das Haar, das in diesen Höllenstunden schlohweiß geworden war.
    Sie sagte leise: »Du Märtyrer.«
    Verneinend schüttelte er den Kopf.
    »Märtyrer? Nein, Märtyrer werden zu Unrecht gequält, sie haben nichts getan. Ich aber wurde schuldig, ich mußte büßen, was ich verbrochen habe.«
    Sie widersprach entschieden: »Du hast nur in Notwehr gehandelt, du bist kein Mörder. Mögen auch alle Gassen widerhallen vom Geschrei des Pöbels, der dich auf dem Block am Markt sterben sehen will, du bist kein Mörder. Mag man auch vor mir ausspucken, du bist kein Mörder. Ich weiß es. Die Kunst ist deine Seele, und die Kunst ist rein, ganz einfach deshalb, weil sie die Kunst ist. Doch der Mob will sein Opfer.«
    Müde senkte er den Kopf auf seine blutige Brust und schwieg. Sie wehrte nicht dem inneren Bedenken und stand, hoch aufgerichtet, vor dem Lager. Nach Minuten erst blickte er wieder auf. Mühsam hob er die Hände, streckte sie ihr entgegen.
    »An ihnen«, sagte er, gepreßt, »klebt Blut …«
    »Dein eigenes«, unterbrach sie ihn. »Sieh sie nur an.«
    »… und das eines anderen Menschen«, fiel er ein, »den ich getötet habe.«
    »Es war Notwehr.«
    »Was heißt Notwehr? Es wäre nicht notwendig gewesen, ich hatte ihn doch schon entwaffnet. Trotzdem führte ich den verhängnisvollen Hieb, und deshalb schreit das Opfer nun aus der Ewigkeit nach der Sühne.«
    »Du warst bis aufs Blut gereizt.«
    »Um so mehr hätte ich Anlaß gehabt, mich zu beherrschen.«
    »Dann wärest du von ihm erschlagen worden.«
    »Womit? Der Waffe hatte ich ihm doch schon, wiederhole ich, entrissen.«
    »Man sagte mir, daß noch vier weitere Kerzenleuchter herumstanden.«
    »Auf die Gelegenheit, ihm alle vier zu entreißen, einen nach dem anderen, hätte ich warten sollen.«
    Sie verstummte. Es hat keinen Zweck, dachte sie, er hat sich in seine Büßerrolle verbissen. Seine Schuldgefühle haben von ihm Besitz ergriffen. Er scheint sie gar nicht mehr missen zu wollen. Sie sind in seiner Situation der einzige schreckliche Trost für ihn. Ich kann ihn davon nicht abbringen. Aber ich muß es versuchen, ich darf
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