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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April
Autoren: Susanne Preusker
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Mein Blick verändert sich. Ich kann mich nur noch auf ein Bild konzentrieren, überblicke keine komplexeren Zusammenhänge mehr. Ich bin isoliert in meinem Folie-Watte-Paket und wundere mich, dass das niemandem auffällt. Ich kann sprechen – »Ich zahle mit EC-Karte« – und meine Stimme klingt gedämpft und so, als käme sie nicht von mir, als spräche jemand anderes meine Gedanken aus. Alles ist irgendwie gedämpft, unwirklich.
    Ich weiß, dass es nur ein kleiner, leichter Schritt ist, um meinen Körper zu verlassen und mir selber von außen zusehen zu können. Ich weiß auch: Wenn ich das zulasse, verliere ich den Verstand. Ich werde dann nie wieder in meinen Körper, zu mir zurückkehren können. Dieser Zustand macht mir unglaublich große Angst. Anfänglich blieb mir nur die Flucht, weg, weg, weg, schnell weg, wie bei einem Panikanfall. Aber ich musste sehr schnell feststellen, dass weder Folie noch Watte einen Notausgang besitzen. Wenn ich weggegangen bin, habe ich alles mitgenommen. Es klebte an mir: die Folie, die Watte, die Vorstellung, gleich den Verstand zu verlieren. Wenn es dann wieder verschwunden war – ganz von alleine, mit Flucht oder ohne, ich hatte jedenfalls nichts damit zu tun –, war ich müde, erschöpft, traurig. Und hilflos. Und hatte Angst vorm nächsten Mal. Denn dass es ein nächstes Mal geben würde, war klar. Es gibt immer ein nächstes Mal. Ich hatte keine Ahnung, wie ichmit dem Watte-Gefühl umzugehen hatte. Woher denn auch? In meinem alten Leben gab es das nicht.
    Im Laufe der Zeit habe ich Strategien entwickelt, das Watte-Gefühl auszutricksen. Zunächst mit einer Art innerem Dialog, einem Mantra, das ich mir unablässig vorgebetet habe:
    Esistallesokay.Esistallesgut.Gleichistesvorbei.Esistallesokay. DuverlierstnichtdenVerstand.Esistallesgut.
    Aufsagen. Immer aufsagen. Keine Pause machen. Aufsagen.
    Das hat mir etwas geholfen. Dann habe ich begonnen, mich im Watte-Gefühl so intensiv wie irgendwie möglich auf meine Umgebung zu konzentrieren. Ganz einfach und doch so schwer: Deine Füße stehen auf dem Boden. Spüre den Boden. Auf dem Haus steht die Nummer 23. Die Buchstaben sind schwarz und aus Metall. Die Kassiererin trägt einen schmalen goldenen Ehering. Es regnet, aber es geht kein Wind. Das Lenkrad vom Auto ist aus Leder und fühlt sich kühl an. Zum Beispiel. Auch das hat etwas geholfen.
    Am hilfreichsten war aber die Gewissheit, dass es vorbeigehen wird. Es gibt immer ein nächstes Mal, aber jedes nächste Mal geht vorbei. Und wieder und wieder und wieder. Es geht vorbei, ich verliere nicht den Verstand, das Watte-Gefühl ist unangenehm und angsteinflößend, aber normal. Es ist normal, in unnormalen Lebenssituationen unnormal zu reagieren. Hilfreich war auch die Einsicht, das Watte-Gefühl niemandem erklären zu können oder zu müssen. Wer sollte das verstehen? Der Satz »Mir geht es gerade nicht so gut« musste im Ernstfall reichen. Alles andere wäre eine Zumutung für die Gesunden gewesen, die zwangsläufig auf geheucheltes Verständnis hätte hinauslaufen müssen. Im Ergebnis geht diese ganze Angelegenheit nur mich und mein Watte-Gefühl etwas an, wir haben das zusammen durchzustehen.
    Das Watte-Gefühl war irgendwann nicht mehr mein Feind,sondern eine Art Kumpan in meinem neuen Leben. Ein Begleiter, den ich auch heute noch nicht besonders schätze, der aber nun, ob ich will oder nicht, da ist. So wie ein unerfreulicher Nachbar, ein nervtötender Arbeitskollege oder unangenehme Verwandte, die man sich ja auch nicht aussuchen kann. Vielleicht will es mich warnen oder schützen oder klüger machen. Ich weiß es nicht. Aber seitdem ich es nicht mehr als Feind betrachte, kommen wir besser miteinander klar. Und – in letzter Zeit besucht es mich immer seltener. Aber hin und wieder kommt es, um seiner Schwester, der Panik, zu helfen. Wenngleich auch das seinen Sinn haben mag, sind diese Doppelbesuche nur schwer, eigentlich gar nicht zu ertragen. So wie neulich im Parkhaus.

Mairegen macht schön
    Ich bin eine gute und erfahrene PKW-Fahrerin. Klar, das sagen alle von sich, auch die, die erst bremsen und dann blinken. Oder diejenigen, die die mittlere Spur der von mir so gehassten A2 blockieren, indem sie versuchen, mit 100 km/h polnische LKW zu überholen, die 103 km/h fahren. Dieses Spiel heißt übrigens »Wir produzieren einen Stau«. Aber wie dem auch sei – ich darf mich schon deswegen als gute Autofahrerin bezeichnen, weil ich einige Jahre Taxi gefahren bin. Noch
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