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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April
Autoren: Susanne Preusker
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Fußmatte, daneben stehen immer ein paar dunkelgraue Hausschuhe ganz ordentlich nebeneinander, und zwei alte Holzstühle, deren weißer Lack sich von Jahr zu Jahr weiter verabschiedet. Die Stühle sind ganz akkurat links und rechts neben der Balkontür aufgestellt und verlassen, soweit ich das bislang verfolgen konnte, ihren Platz nie. Anders als die meisten der 27 Balkone unseres Innenhofs ist der von Frau Hoppe nicht mit einer im Wind knirschenden Schilfmatte abgeschirmt – das würde in diesem Fall auch nichts nützen, weil ich so oder so von oben auf den Balkon sehen kann. Keine Chance, Frau Hoppe!
    Frau Hoppes Balkon wird nie von einem Sonnenstrahl getroffen, was sich durch die eigentümliche Bauweise des Gebäudekomplexes erklärt und mir wirklich leidtut, denn auf unserem Balkon scheint von mittags bis in die späten Abendstunden Sonne satt. Unser Balkon ist chaotisch-wohnlich: viele Pflanzen, Strandkorb, Sonnenschirm, Holzbank, Wassertümpel. Laternen, pausbäckige Engel, Glaskugeln. Unser zweites Wohnzimmer, stets gern genutzt, wenn es das Wetter zulässt. Genutzt zum Essen, Trinken, Dösen, Schlafen, Lesen, Feiern, Lachen, Streiten. Und ich liebe es, grünen Nachschub aus Gärtnereien anzuschleppen. Ich liebe es, zu dekorieren und umzutopfen und zurückzuschneiden, und überhaupt verfolge ich das Ziel, unseren Balkon zu dem schönsten und wohnlichsten des Viertels zu stylen. Das hilft, die Seele zu heilen. Und, im Gegenzug, macht es ein Balkon der verwundeten Seele noch schwerer, trübe, lange Wintertage zu überstehen.
    Es gibt ein chinesisches Sprichwort:
    Willst du für eine Stunde glücklich sein, so betrinke dich. Willst du für drei Tage glücklich sein, so heirate. Willst du für acht Tage glücklich sein, so schlachte ein Schwein und gib ein Festessen. Willst du aber ein Leben lang glücklich sein, so schaffe dir einen Garten.
    Manchmal trinke ich Rotwein, geheiratet habe ich vor gut einem Jahr, ein Festessen für Freunde mache ich selten.
    Früher, in meinem alten Leben, hatte ich einen Garten.
    Frau Hoppe sitzt nie auf ihrem Balkon. Auch ihre Kinder – Jungen unbestimmten Alters, zu groß für Windeln, zu klein für Pubertätspickel – habe ich noch nie auf dem Balkon gesehen. Einen Herrn Hoppe scheint es nicht zu geben. Ab und an beobachte ich Frau Hoppe, die den Balkon offensichtlich nur betritt, um das Geländer zu putzen oder Blumen zu gießen, und die sich vorher grundsätzlich die grauen Hausschuhe anzieht. Ich glaube nicht, dass sie gerne auf ihrem Balkon ist. Und nur anganz besonders heißen Sommertagen, an denen sich die Luft im Innenhof staut, steht manchmal die Balkontür auf. Aber man hört kein Lachen, keine klappernden Töpfe, keine Musik – nichts. Auch das tut mir leid.
    In unserem Innenhof gibt es viele Tauben. Riesengroße, fiese, laute, unangenehme Stadttauben. Tauben, wie es sie überall auf der Welt in allen Städten gibt. Und wie überall auf der Welt machen auch unsere Tauben viel Dreck. Und dieser Tauben­dreck landet zum Großteil auf dem Fensterbrett von Frau Hoppe. Ich weiß nicht, warum. Ich weiß aber, dass ich noch nie Taubendreck in solchen Mengen auf unserem Balkon vorgefunden habe, so dass es sich gelohnt hätte, zu Putzutensilien zu greifen. Anders bei Frau Hoppe. Ich kann es mir nicht erklären, wirklich nicht, doch es ist nun mal traurige Tatsache, dass der Großteil der ganzen Taubenkacke – man sollte die Dinge beim ­Namen nennen und auf Euphemismen wie »Taubendreck« verzichten: Gemeint ist Kacke, dann soll es auch Kacke heißen – auf Frau Hoppes Fensterbank landet. Nicht bei uns, nicht bei den anderen 25 Mietern, nein – nur Frau Hoppe hat das Problem. Leider weiß ich nicht, welcher Raum sich hinter diesem Fenster verbirgt. Aber egal, ob Schlaf-, Wohn- oder Kinderzimmer – in keinem Fall ist es besonders schön, auf eine zentimeterdicke Lage Taubenkacke zu blicken. Also macht Frau Hoppe regelmäßig sauber. Mit Putzlappen und gelben Gummihandschuhen. Und mit einem unglaublich verbitterten Gesichtsausdruck, der mich frieren lässt. Nein – eigentlich macht er mir Angst. Wie gesagt: keine Euphemismen! Und wahrscheinlich schrubbt Frau Hoppe in dem Bewusstsein, diesen Vorgang alsbald wiederholen zu müssen, was vielleicht auch nicht besonders fröhlich macht.
    Nun möchte ich nicht behaupten, vor Glück zu strahlen, wenn ich Taubenkacke vom Fensterbrett kratzen müsste, bei FrauHoppe irritiert mich aber, dass sie immer so aussieht. So verbittert,
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