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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April
Autoren: Susanne Preusker
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Mutter der Braut, uns in der Marienkapelle des Doms eingefunden, um den kirchlichen Segen zu erhalten. Nein, keine kirchliche Trauung im engeren Sinne, sondern einen schlichten Segen. Ohne Orgel und sonstiges Brimborium. Die kirchliche Trauung sollte, so war es mit dem Probst abgesprochen, einige Monate später an einem anderen Ort stattfinden. Dort, wo der Bräutigam seine Kindheit verbracht hatte. Dort, wo seine Mutter begraben liegt. So war der Plan, denn die Immer-noch-Frischverliebten waren übereinstimmend der Ansicht, bestimmte Aufgaben im Leben könnten mit Gottes Hilfe besser gelingen. Die Ehe zum Beispiel. Wenn es Gott denn gibt, aber das ist ein anderes Thema.
    Die Gästeliste für die große kirchliche Trauung habe ich einen Tag, bevor mein altes Leben zu Ende ging, erstellt. Die Einladungen sind jedoch nie verschickt worden. Der kirchliche Segen in der Kapelle des alten, weisen Domes, die schlichte, zu Herzen gehende Zeremonie musste fürs Erste genügen. Undsoll und wird es auch. Ich erinnere mich kaum mehr an das, was in der Kapelle geschehen ist. Nur an die Worte Glaube, Liebe, Hoffnung.
    Dieses ist meine zweite Ehe. Die erste war, wie so viele andere Ehen, ein langjähriger Kampf ohne Gewinner. Dann die Scheidung, dann unerwartet die neue, die große, die vielleicht ewige Liebe einer fast Fünfzigjährigen zu einem Mann, den sie nicht glaubt, verdient zu haben. Glück, Lachen, Leidenschaft, atemberaubender Sex, Heiratsantrag und ein halb gelachtes, halb geweintes JaJaJaJaJa! Ich hatte mich auf diese Hochzeit, auf diese Ehe gefreut. Auf Fahrten im Riesenrad des Lebens – und noch eine Runde und noch eine Runde und noch mal, höher, höher, schneller, viel schneller.
    But if he finds you and you find him,
    The rest of the world don’t matter;
    For the Thousandth Man will sink or swim
    With you in any water.
    So heißt es bei Rudyard Kipling. Ich wusste, ich hatte ihn gefunden. The Thousandth Man.
    Nine hundred and ninety-nine of ’em call
    For silver and gold in their dealings;
    But the Thousandth Man he’s worth’em all
    Because you can show him your feelings.
    Nachdem mein altes Leben beendet war, habe ich meinen späteren Mann bei unserer ersten Begegnung im neuen Leben gefragt, ob er mich immer noch heiraten wolle. Er hat geantwortet: »Und nun erst recht.« Was hätte ich getan, wenn er »Nein.« gesagt hätte? Ich weiß es nicht.
    Im Nordturm des Domes hängt die dicke Susanne und macht Lärm. Lärmen kann sie, weil sie eine große, dicke Kirchenglocke ist. Das alles ist bei Wikipedia nachzulesen. Ich verstehe nämlich nichts von Glocken, kaum etwas von Kirchengeschichte und nur sehr wenig von Musik, von Tonleitern, von Akkorden oder was immer für den Klang von Kirchenglocken entscheidend sein mag. Aber die Vorstellung, in dieser Stadt, in der ich mich immer selbstständiger und selbstverständlicher bewege, durch den Lärm der dicken Susanne geschützt und an die vielen Kerzen, die ich angezündet habe, an den Zauber des Kreuzganges oder den kirchlichen Segen bei meiner Hochzeit erinnert zu werden, gefällt mir gut. Ich sehe den Dom von meinem Fenster aus, ich sehe ihn, wenn ich mich, aus welcher Himmelsrichtung auch immer, von ferne der Stadt nähere, und manchmal, wenn ich ihn gerade nicht sehe, höre ich den Lärm der ­dicken Susanne. Ich glaube, dieser Lärm ist wirklich in der ganzen Stadt zu hören, wahrscheinlich, nein: ganz bestimmt auch in der Praxis von Dr. Achtermann.

Dr. Achtermann macht gesund
    An einem sonnigen Nachmittag im Mai habe ich Dr. Achtermann zum ersten Mal getroffen – er war mir vom Nachbarn eines Bruders eines entfernten Bekannten empfohlen worden. Mein Mann hat mich hingefahren und wir hatten zunächst große Mühe, das schicke Appartementhaus zu finden. Vielleicht war es auch so schwierig, weil nicht mal das Navi glauben konnte, dass es in diesem heruntergekommenen Stadtteil, voll mit halb verfallenen grauen Fabrikgebäuden, an deren frühere Aufgaben sich niemand mehr erinnern kann, einenNeubau geben sollte. Ganz zu schweigen von einem Dr. Achtermann.
    Wir haben geklingelt, sind in die dritte Etage hinaufgegangen. Dann die Begrüßung. Und dann die Aufforderung an meinen Mann, wieder zu gehen. Spazieren oder Kaffee trinken. Was auch immer. Nein, ein Wartezimmer gebe es nicht.
    Für das Behandlungszimmer des Dr. Achtermann gibt es nur einen treffenden Begriff: gediegen. Ich saß also in einem gediegenen Behandlungszimmer auf einem gediegenen Stuhl dem
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