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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April
Autoren: Susanne Preusker
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anstoßen? Und auf was überhaupt?
    Ich betrachtete unsere Gäste durch den Nebel von drei (oder vier) Gläschen Bumbum, Wein nicht mitgerechnet, multipliziert mit einem Antidepressivum mittlerer Dosis und meiner zur Gewohnheit gewordenen Erschöpfung. Sie unterhielten sich zu vorgerückter Stunde im Schein der Kerzen. Wir hatten die üblichen Verdächtigen geladen, ein paar guter Freunde.
    Da waren Sabine und Peter, Kosmetikerin mit eigenem Studio und Pharmareferent. Angeblich Pharmareferent. Eigentlichweiß niemand so genau, womit Peter sein Geld verdient, aber fest steht: Er hat welches. Andrea und Herbert, (tatsächlich und nachgewiesenermaßen) Pharmareferentin und Jurist, Julia und Michael, Krankenschwester und Justizvollzugsbeamter, Saskia und Thomas, Sozialpädagogin und gelernter Schmied. Bunte Mischung, nette Leute, alle so zwischen dreißig und fünfzig – die mit »fünfzig« war natürlich ich, aber das spielt, zumindest an dieser Stelle, keine besondere Rolle.
    Und sie redeten und lachten und erzählten und tranken und waren fröhlich. Ich hörte die Geschichten, beobachtete meinen Mann, der weiter unverdrossen Bumbum aus-, ein- und nachschenkte und mitlachte und miterzählte. Geschichten von der Arbeit, von skurrilen oder auch einfach nur doofen Vorgesetzten und Kollegen, Anekdötchen von Kunden, Mandanten, Klienten, Patienten, ärgerliche Episoden, das Gerangel um Beförderung, Anerkennung, Geld. Geschichten vom Erfolg und ­Geschichten vom Scheitern oder auch nur von der Furcht davor. Laute Geschichten, Geschichten, die mich immer kleiner werden ließen. Ich hatte nichts zu erzählen. Ich konnte nur zuhören und fühlen, wie ich immer bedeutungsloser wurde. Immer durchsichtiger, wie ich drohte, in dieser sommerlichen Nacht auf dem Balkon zu verschwinden. In meinem alten Leben, das war mir sehr klar, wäre ich diejenige gewesen, die die lustigsten, aberwitzigsten und zweifelsohne interessantesten Geschichten zum Besten gegeben hätte. Stundenlang. Die Lacher immer auf meiner Seite. Fähig, imstande und willens ganze Partys auf das Trefflichste zu unterhalten. So war es nämlich auch bei der ersten Balkonparty, die bedauerlicherweise an dem gleichen Abend stattfand, an dem wir Karten für Nabucco hatten. Open Air. Wir sind am nächsten Tag aufgebrezelt und aufgehübscht zum Wasserschloss gefahren. Leerer Parkplatz. Typisch. Nichts los im Osten. Die Aufführung am Vortag soll tollgewesen sein, haben wir dann erfahren. Ich fand das alles witzig. Mein Mann weniger. Die Karten waren nämlich nicht billig. Er ist und bleibt halt Schwabe.
    An diesem Abend, bei dieser zweiten legendären Balkonparty und der ersten in meinem neuen Leben, versank ich jedoch in einem Meer aus Selbstmitleid und Bumbum. Ich erinnere mich nicht, wie ich aus diesem trüben Meer wieder aufgetaucht bin, ich weiß nur noch, dass es mich viel, sehr viel Kraft gekostet hat. Und Bumbum werde ich nie wieder trinken. Es passt nicht in mein neues Leben. Schließlich habe ich schon genug damit zu tun, mit der Watte fertig zu werden.

Watte macht Angst
    Es kann überall auftreten – beim Einkaufen, beim Tanken, im Gespräch mit anderen Menschen, wobei völlig bedeutungslos ist, ob es sich um Bekannte oder Fremde handelt. Es kann ­auftreten im Restaurant, in meiner Wohnung, beim Sport, manchmal auch, aber das ist eher die Ausnahme, wenn ich ganz alleine bin. Es kündigt sich nicht an. Es ist plötzlich da, bleibt Minuten, manchmal auch eine Stunde oder länger. Und es macht Angst. Immer.
    Ich nenne es das Watte-Gefühl. Natürlich gibt es für dieses Gefühl, das keines ist, sondern eher ein Zustand, auch einen Fachausdruck. Aber erstens tut der an dieser Stelle nichts zur Sache, zweitens ist er nicht hilfreich und drittens von Leuten erfunden, die etwas zu benennen hatten, das ihnen nicht aus eigener Erfahrung, sondern nur aus Berichten von Patienten bekannt war. Ich bleibe also bei meinem Begriff, bei dem, was ich mein Watte-Gefühl nenne.
    Ich will versuchen, es zu beschreiben: Eine Wand aus sehr stabiler Klarsichtfolie schiebt sich zwischen mich und meine Umwelt. Die Folie ist nicht schalldicht, ich höre, was gesprochen wird, ich höre alle Geräusche, sie sind klar und deutlich und doch seltsam gedämpft. So, als sei ich, bereits von Folie umgeben, noch in Watte eingepackt. Die Watte ist ebenfalls durchsichtig, ich sehe alles, was um mich herum passiert, gleichzeitig sind die handelnden Personen und meine Umgebung nicht erreichbar.
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