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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April
Autoren: Susanne Preusker
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unglücklich, unfreundlich. Es ist egal, ob ich ihr in der Tiefgarage oder im Treppenhaus begegne, egal, ob morgens oder nachmittags oder abends, ob sie Tüten schleppt oder ihre Söhne an der Hand hält – Frau Hoppe sieht immer gleich verbittert aus. Oder wäre »unglücklich« zutreffender? Unterscheiden sich diese beiden Worte überhaupt? Frau Hoppe sagt auch nie »Guten Tag«, nur manchmal nickt sie knapp. Und an vielleicht besonders schlechten Tagen kann es schon mal passieren, dass sie die Haustür direkt vor einem zuhaut. Mit Absicht, wäre zu unterstellen. Das ist Frau Hoppe.
    Ich weiß nicht, welchen Beruf Frau Hoppe ausübt, ich weiß nicht, wie alt sie ist, ich weiß nicht, was mit Herrn Hoppe geschehen ist. Ich weiß nicht, wo die Liebe, deren Ergebnis zwei Söhne sind, geblieben ist oder ob es sie überhaupt jemals gab. Ich weiß eigentlich nichts von Frau Hoppe, die ich noch nie habe lachen oder auch nur lächeln sehen. Natürlich habe ich auch noch nie im Leben ein Wort mit Frau Hoppe gewechselt – wie denn auch?
    Ich weiß nur, dass schräg links über Eck in der zweiten Etage die Traurigkeit und die Verbitterung wohnen. Sie sollen niemals bei mir einziehen, denn so war ich nie und so werde ich nie und so will ich nie sein. Niemand sollte so sein müssen wie Frau Hoppe.
    Ich beobachte Frau Hoppe seit längerem, regelmäßiger aber erst seit April des vergangenen Jahres, das heißt, ich befinde mich gerade im zweiten Sommer mit Frau Hoppe, ihrem Balkon, ihrer Taubenkacke und ihren gelben Gummihandschuhen. Diese Frau lässt mir keine Ruhe. Vielleicht wäre sie zufriedener, wenn sie von ihrer Wohnung aus den Dom sehen könnte, aber ich glaube, das kann sie nicht. Auch das tut mir leid.

Die dicke Susanne macht Lärm
    Wenn ich aus dem Schlafzimmerfenster schaue, kann ich in der Ferne die beiden Türme des Domes sehen. Je nach Wetterlage erscheinen sie ganz nah und klar oder eher fern, durch Nebel oder Regen verschwommen. Zu sehen sind sie aber immer.
    Der Dom steht dort seit gut achthundert Jahren und oftmals, wenn ich aus dem Fenster sehe, staune ich darüber, was diese älteste gotische Kirche auf deutschem Boden – so heißt es –schon alles gesehen und miterlebt hat: Kriege, Wohlstand, Demonstrationen, Zerstörung, Wiederaufbau. Eigene Wunden. Eine endlose Kette sich wiederholender Ereignisse. Und stoisch wacht der Dom über allem. Ich habe mir schon oft vorgestellt, was dieses Bauwerk wohl über uns Menschen denken mag, wenn wir, gebeugt von Kummer oder Einkaufstaschen, über den Domplatz gehen. Oder weinend. Oder fröhlich. Kommen einem solchen Bauwerk unsere kleinen Leben unwichtig vor? Denken Steine? Wenn ich der Dom wäre, wäre ich nur dankbar und froh, Dom sein zu können. Ich glaube, ich hätte keine Lust zum ­Denken. Und nach achthundert Jahren auch nicht mehr genug Energie, um sie an kleine, flüchtige Leben zu verschwenden.
    Vor drei Jahren war ich zum ersten Mal im Dom und habe eine Kerze angezündet. Nicht, dass ich besonders gläubig bin, aber dieser Akt hat so etwas Erhabenes, Mystisches. Man fühlt sich auf eine undefinierbare und wahrscheinlich auch geheuchelte Art gesegnet und mit welchem Geist auch immer verbunden. Und schaden wird es wohl nichts, dachte ich damals.
    Zwischenzeitlich war ich noch oft dort, habe den Archäologen zugesehen, den Restaurateuren, habe die Orgelbauer beobachtet und die Touristen. Ich habe verfolgt, wie die Arbeiten voranschritten, war im Raum der Stille und habe dort tatsächlich den Mund gehalten. Ich habe mehrmals den Kreuzgang durchschritten, obwohl ich normalerweise einfach nur gehe, und habe irgendwann begonnen, mich im Dom zu Hause zu fühlen. Beheimatet. Aber der Akt des Kerzenentzündens hat seine Besonderheit für mich nie verloren. Ich habe Kerzen angezündet für mich, meinen Mann, meinen Sohn, meine Mutter, für Schulabschlüsse und Klassenarbeiten, für wichtige Arbeitsentscheidungen, unsere Liebe, unser aller Gesundheit. Es sind im Laufe der Zeit viele, viele Kerzen geworden. Gebetet habe ich nie. Aber leise gesprochen. Mit wem auch immer.
    Zehn Tage, nachdem mein altes Leben zu Ende gegangen ist, habe ich geheiratet. Nach der standesamtlichen Trauung haben wir, die kleine, traurige, zutiefst verstörte Hochzeitsgesellschaft bestehend aus dem Brautpaar, zwei Trauzeugen nebst jeweiligem Partner, einem jungen Mann, Sohn der Braut, einem verwitweten Doktor h.c., Vater des Bräutigams, und einer verwitweten Hauptsekretärin im Ruhestand,
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