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Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall

Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall

Titel: Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
Autoren: Stefan Keller
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1
     
    1957
     
    Der Qualm dutzender Zigaretten schien sich unter den Lampenschirmen u ̈ ber den Tischen und der Bar zu sammeln. Auf der einfach gezimmerten Bühne in dem völlig überhitzten und viel zu kleinen Raum hielten ein singender Akkordeonspieler und ein schon seit einer Stunde stur mit einem Stock auf seine Trommel eindreschender Schlagzeuger die Stimmung hoch und die Gäste am Tanzen. Dabei wankte der Takt, den der Trommler vorgab, ebenso wie die herumwirbelnden Pärchen. Manche sangen die Lieder noch mit, andere hielten sich eng umschlungen – enger, als es schicklich war.
    Auch Siggi tanzte. Seine Aufmerksamkeit galt jedoch nicht seiner Partnerin, die trotzig ihre großen Bru ̈ ste an ihn dru ̈ ckte, sondern einem Paar, das sich manchmal neben ihnen, manchmal am anderen Ende der kleinen Kneipe auf der Straße ›Unter Krahnenbäumen‹ bewegte. Vor drei Tagen wäre Siggi überzeugt gewesen, dass er mit diesem Mädchen, Barbara, tanzen würde, doch sie hatte ihm den Laufpass gegeben und sich heute vor den Augen aller Nachbarn mit diesem eitlen Geck eingelassen, dessen protzige Uhr das Licht der trüben Glühbirnen spiegelte.
    Seit einer Stunde waren die beiden unzertrennlich, die Enge des Saales und der großzügige Nachschub alkoholischer Getränke taten ihr Übriges. Dabei war der Junge nicht einmal ein anständig verkleidet.
    Siggi hingegen hatte sich wirklich Mühe gegeben. In den letzten Tagen hatte er gegrübelt, welches Kostüm sie wohl am meisten beeindrucken würde, bis ihm einfiel, dass sie ihm vor zwei Wochen von einem Film erzählt hatte, den sie im alten Alhambra auf der Ehrenstraße gesehen hatte. Ein amerikanischer Piratenfilm. Bei der Schneiderin um die Ecke hatte er ein Stück Stoff gegen eine Packung Zigaretten getauscht. Außerdem hatte sie ihm das Versprechen abgenommen, am nächsten Wochenende das Fahrrad der Frau auf Vordermann zu bringen. Über die Schneiderin hatte er einen Mann kennengelernt, der für die Schauspieler Kostüme nähte, die in der Aula der Universität spielten. Gegen eine Flasche Schnaps hatte er ihm Zugang zum Fundus verschafft und Siggi hatte sich für Pluderhose, Hemd und Weste entschieden. Er fand, dass er damit einen hervorragenden Piraten abgab. Barbara sah das offenbar anders. Statt mit ihr tanzte er nun mit Schmitzens Lenchen, die immer noch verheißungsvoll ihren Busen an seinen Körper drückte, bis sie schließlich seinem starren, schon leicht glasigen Blick folgte und ihn wütend stehen ließ.
    Siggi wankte zur Sperrholztheke, hielt sich krampfhaft an seinem Glas fest und beobachtete Barbara und ihren Galan, dessen protzige Uhr seine Abneigung steigerte. Jemand rempelte Siggi an. Ohne weiter hinzusehen, stieß er ihn genervt weg.
    Der Mann packte ihn am Kragen. »Pass besser auf, mit wem du dich anlegst, Jüngelchen. Kannst sonst gleich deine Abreibung für den Abend kriegen.«
    Siggi erkannte seinen Fehler sofort. Mit dem schnieken Helm legte man sich nicht an. Er entschuldigte sich wortreich lallend, verzog sich und machte sich auf die Suche nach Barbara und dem Schnösel.
    Es schien fast, als zöge ihn der schmerzliche Anblick des turtelnden Pärchens magisch an, doch die zwei waren verschwunden. Hektisch sah er sich um und erkannte ihren dunklen lockigen Pagenkopf, auf die Schulter des Mannes gestu ̈ tzt, der sie im Arm hielt und zur Tu ̈ r hinausfu ̈ hrte. Ohne lange nachzudenken, folgte Siggi ihnen.
    Nach der heißen, stickigen Atmosphäre der Kneipe traf ihn die Kälte der Februarnacht wie ein Schlag. Sein Atem bildete eine weiße Wolke unter dem schwachen Licht einer Straßenlaterne, rechts die Straße hinunter hörte er leises Gelächter. Die beiden hockten, in der Dunkelheit kaum auszumachen, in der leeren Fensterhöhle einer Tru ̈ mmerfassade. Der Fremde hielt Barbara fest in seinen Armen, versuchte sie zu küssen. Doch sie schien sich ihm entwinden zu wollen. Siggi erkannte seine Chance.
    »He da! Lass die Barbara los!«
    Überrascht blickten die beiden ihn an, ihre Blicke waren glasig, die Gesichter wirkten trotz der Kälte erhitzt.
    »Ach, du bist’s«, sagte Barbara, »hast mich vielleicht erschrocken.« Sie kicherte und schmiegte sich lächelnd an die Wange des Fremden. Siggis Herz raste. Seine Knie zitterten in der weiten Hose. Er fühlte sich wie der dämlichste Idiot der Welt.
    »Brauchst du Hilfe?«
    »Nein«, antwortete das Mädchen gedehnt und kicherte kurz, »hier ist alles in bester Ordnung.« Sie wandte sich dem Mann
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