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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner
Autoren: Ralf Rothmann
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dem Finger an den Abzug zu kommen, und kriegte dieses Hämmerchen über dem Zündpapier, diesen Hahn, nicht hoch. Ich flennte fast vor Wut.«
    In Adrians Augen war eine ruhige Konzentration, er zog kein einziges Mal an seiner Zigarette. Doch Dinah nagte an der Innenhaut ihrer Lippe und kratzte Löcher in die feuchten Stellen der Tischdecke. Ganz spitz die Nägel. »Und was lehrt uns das?«, fragte sie, wobei ihrer Stimme anzuhören war, dass sie schon wieder an Bodenhaftung verlor. »Barbie-Puppen sind für Mädchen einfach besser. Man kann ihnen so schön den Hals umdrehen. Und Waffen soll man den Männern überlassen, stimmt’s?« Dann legte sie mir eine Hand auf den Arm und fügte etwas gedämpfter hinzu: »Die haben doch die Potenzprobleme, nicht wir!«
    Ich blickte auf die Uferwiese, das falbe Gras, in dem hier und da ein paar Goldruten blühten. Immer noch war die Frau in der Kittelschürze bei der Arbeit. Sie hatte Lockenwickler in den Haaren und zog sich eine Ziege nach der anderen mit einem Krückstock zwischen die Knie. Dann beugte sie sich über den schweren Euter, und schon schossen die Milchstrahlen, kaum dicker als flüchtige Bleistiftstriche, aus ihren Fäusten hervor in die Schüssel.
    Ben, der gerade den Filter von seiner Zigarette brach, drehte den Kopf, wobei sich der kleine Krebs an seinem Hals verzog und wie ein Skorpion aussah. »Was haben wir?« Sein Bruder reichte ihm das Feuerzeug; Kartoffelnetzwerk Uelzen stand darauf. »Wieso haben wir Potenzprobleme? Wer sagt das?«
    Dinah hob einen Arm und bestellte fünf Lavendelschnäpse. Dann drückte sie den Rücken durch, zupfte an ihrem Top und zeigte so allen, was keiner von ihnen kriegen würde. »Ach nein?«, fragte sie grinsend. »Habt ihr nicht? Mannometer. Und wieso braucht ihr dann dieses breitbeinige Getue mit Schulterklappen, Springerstiefeln und tödlicher Schwanzverlängerung?«
    Ein jähes Aufstoßen blähte Kalles Backen, und er tippte sich an die Mütze. »Rekru’naustausch!«
    Sein Bruder starrte traurig vor sich hin. Er blies den Rauch in sein leeres Glas und griff erneut nach der Flasche. »Woher soll ich denn wissen, ob ich potent bin, Mensch. Dazu müsste ich erst mal ’ne Freundin haben.«
    Adrian aber schwieg, und das schien sie zu reizen. Sie verengte die Augen. »Du zum Beispiel, wenn ich dich so anschaue, weiß ich genau, wie du im Bett bist«, sagte sie, ohne auf mein Stirnrunzeln zu achten, den warnenden Blick. »Ich will dir nicht zu nahe treten, auch wenn du das gern hättest, aber ich glaube, du bist so’n nervöser Schnellficker. Das sind die Schüchternen immer. Und du hast dauernd Angst, dass dein Dödel nicht groß oder dick oder lang genug ist. Und deswegen fühlst du dich richtig gut, wenn du so eine gewaltige Uzi in der Hand hast, stimmt’s? Kannst du ruhig zugeben.«
    Die Kellnerin brachte die Schnäpse, und er roch zwar an seinem, trank aber nichts; in die Tischmitte schob er ihn. »Ich bin Sanitäter«, sagte er schließlich, woraufhin seine Kameraden lachten. Auch ich musste schmunzeln, doch Dinah winkte ab. Sie war jetzt blass vor Erbitterung, eine graue Blässe, die mich an die Ziegenmilch erinnerte, und ich fand sie überhaupt nicht mehr schön, im Gegenteil. Mit anzusehen, wie sie hinter sich selbst zurückblieb, war nicht nur traurig; irgendwie fühlte ich mich auch geprellt. Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Keiner versteht, weshalb ihr dauernd so ein Theater um eure Größe macht«, fuhr sie fort. »Als wäre das alles. Klar, man möchte schon was spüren, wenn es zur Sache geht, aber ein besonders dickes oder langes Ding ist doch eher problematisch. Ich meine, der Mensch hat nur sechs oder sieben Liter Körperblut, und er braucht jeden Tropfen, wenn er nicht unterversorgt werden will im Gehirn. Also lässt die Natur die Hengstkaliber selten volllaufen – weswegen sie nicht stehen.« Sie prostete ihm zu. »Sei froh, dass du keinen großen Schwanz hast.«
    Dann kippte sie den Schnaps. Ich angelte meinen City-Sack unter dem Stuhl hervor, warf einen Geldschein zwischen die Gläser und stand auf. Die Männer stutzten, und auch Dinah, die gerade den Cellophanfaden von einer neuen Zigarettenschachtel riss, hob überrascht den Kopf. Dabei lächelte sie vage, mit einem ängstlichen Flackern in den Augen, und sah plötzlich wieder ganz zart und verletzlich aus. Vielleicht war ihr ja wirklich nicht bewusst, was sie da geredet hatte. Doch das machte die Sache fast noch schlimmer, und ich griff
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