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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner
Autoren: Ralf Rothmann
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wedelte mit den Händen. »Dein ganzer Bau erbebt in blut’ger Wut! Das sind Vorzeichen! Doch hoff ich sehr, sie deuten nicht auf mich?«
    Weil das Weiße ihrer Augen im Kontrast zur Kohle so leuchtete, wirkte das Blau der Iris viel tiefer. »Hör bloß auf ... Ich glaub, ich schmeiß den Krempel hin«, murmelte sie und gab mir das Badetuch. »Rate mal, was die Laake meint, diese Gucci-Kuh. Ich wäre ihr nicht männlich genug in der Rolle. Die will, dass ich was mit meiner Stimme mache. Zündkerzen fressen, oder die Stoppeln meines Vaters aus dem Rasierapparat löffeln, nehme ich an. Jedenfalls soll ich dunkler sprechen, mit mehr Timbre .« Sie zog an der Zigarette. »Findest du das auch?«
    Ich musste grinsen. »Aber dann würde ja doppelt deutlich, dass du eine Frau bist«, antwortete ich und frottierte mir die Haare. »Othello ist vor allem ein Mensch, oder?«
    Ihr Glimmstengel roch nicht nur nach Tabak, und sie blickte auf meine Füße, die verblassenden Henna-Ornamente aus den letzten Ferien. »Das hast du schön gesagt, Herzchen, das sollte als Spruchband über der Bühne hängen. Dann könnten wir uns auch dieses Geschmiere sparen. Hab schon Pickel von der Kohle. Ich meine, warum muss er eigentlich ein Schwarzer sein? Das wurde überhaupt noch nicht erörtert!«
    Mit Logik darf man mir nicht kommen. »Keine Ahnung, so steht’s im Text«, erwiderte ich und trocknete mir die Ohren. Das Wasser darin quietschte. »Nehmen wir’s allegorisch, wie Lünstedt sagen würde. Wer weißer sein will als die Weißen, muss wohl eine dunkle Hautfarbe haben.« Dann rubbelte ich mir das Gesicht ab. »Sonst würde er vielleicht durchsichtig vor Eifersucht, verstehst du?«
    Keine Antwort, nur die tropfende Dusche war zu hören, und ich erschrak, als ich das Tuch sinken ließ: Dinah stand vor mir, ganz nah. Momentlang wusste ich nicht, wo ich hinschauen sollte. Ihre Lidränder waren etwas entzündet, und sie legte den Joint auf die Fensterbank und harkte mit gespreizten Fingern durch meine Haare, was ziemlich wehtat, weil sie so dicht sind. Ich sog die Luft durch die Zahnritzen ein. Gleichzeitig strich sie mit der anderen Hand, den Nagelrücken nur, über meine Herzbrust, wo es plötzlich eine Gänsehaut gab, und dann schlang sie mir einen Arm um die Taille und zog mich an sich, wie im Stück. Sie hatte wirklich Kraft.
    Nach Schweiß und dem teuren Bulgari-Parfüm ihrer Mutter roch sie, und die Uniformknöpfe fühlten sich kalt an auf meinem Bauch, die Goldsäume rau. Doch ihre Lippen waren warm und so weich, dass mir schwindelig wurde. Vielleicht zuckte ich auch kurz zurück, aber höchstens einen Millimeter, und dann schloss ich die Augen und schmeckte die Kohle, den Rauch und das Süße dahinter und hielt mich an den Schulterklappen fest. Es war mein erster Kuss, der allererste, den ich nicht nur auf den Lippen spürte, und das konnte nicht aufhören, unmöglich. Es war das Innerste von allem.
    Aber es hörte auf. Der Degen am Türgriff pendelte immer noch, die Dusche tropfte und tropfte, und Abendsonne schien durch die Glasbausteine und tauchte den Raum in ein spätgoldenes Licht. Still erstaunt sahen wir uns an, und vielleicht dachten wir beide dasselbe: dass Herr Lünstedt die Kussszene in unserem Stück, einer Art Othello für Anfänger, ersatzlos gestrichen hatte. »Jetzt bin ich wieder schmutzig«, murmelte ich und nahm ihre Hand von meiner Hüfte, spielte mit den schwarzen Fingern. Ich war tierisch verlegen.
    »Quatsch«, sagte sie und küsste mich noch einmal, ganz kurz nur, sehr sanft. »Du bist absolut rein.«
    Bevor sie zur Toilette ging, nahm sie die Sardinenreste von meinem Teller und warf sie einer Katze hin. Drei junge Soldaten kamen von der Straße herunter und blieben am Rand der Terrasse stehen, suchten offenbar einen Tisch. Neue Camouflage-Anzüge trugen sie und rote Baskenmützen mit einem schmalen Lederrand, und zwei von ihnen, Zwillinge, sahen ziemlich betrunken aus. Ihre Gesichter glänzten, und die Unterlippen waren verfärbt vom Wein. Der dritte, ein schmaler Dunkelhaariger mit großen Augen und sonnengebräunter Haut, schien aber nüchtern zu sein. Als eine vorbeieilende Kellnerin ihn anlächelte, wie Französinnen es selten tun, kratzte er sich den Kopf und sagte: »O Gott! Endlich mal Frauen, die einem nicht gleich das Blut abnehmen wollen.«
    Er hatte deutsch gesprochen, und mein Schmunzeln verriet mich. Die Mütze in der Hand, trat er an unseren Tisch und fragte, ob die leeren Stühle frei seien.
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