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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner
Autoren: Ralf Rothmann
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»Klar«, antwortete ich, »aber nur für Raucher«, woraufhin er die anderen herbeiwinkte und sie mir als Kalle und Ben vorstellte, Panzergrenadiere aus Uelzen. Weizenblond waren sie, hatten deutlich zu viele Cheeseburger auf den Hüften und glichen sich bis auf die Tätowierungen am Hals. Doch der eine sah mich mit braunen, der andere mit grünen Augen an.
    Er selbst hieß Adrian, kam aus Berlin und hatte noch zartere Handgelenke als unser Keyboarder. Die Stirn war hoch und der Blick etwas unstet, aber klug. Auch so einer, der am liebsten in die Wolken schaute und mehr fühlte, als ihm klar war, und während die Zwillinge begannen, Teller, Bestecke und Servietten auf einen Tranchierwagen zu räumen – nur die Gläser ließen sie stehen –, musste ich daran denken, was meine Mutter einmal gesagt hatte: dass das Zauberhafte dieser Welt, auch das in der Liebe, nicht von Machern oder Denkern geschaffen wird.
    Die Scheuen bringen es zuwege, die Träumer, und er stand auf, als Dinah an den Tisch zurückkam. Kalle, der es ihm nachtun wollte, stieß einen Aschenbecher um, und sie runzelte die Brauen, spreizte einen kleinen Finger ab und tippte auf den Wimpel an seinem Hemd: »Schwarz, rot, gold? Was machen denn deutsche Soldaten in Frankreich?« Sobald sie mit Männern redete, und wenn es der Tankwart war, hob sie das Kinn etwas höher als gewöhnlich. »Sind wir schon wieder im Krieg?«
    Doch dann gab sie allen die Hand und bestellte noch einmal Wein, eine Flasche. Offenbar war sie froh, nicht mehr allein trinken zu müssen. Ben, der unverhohlen auf ihren Busen starrte, bot ihr eine Zigarette an und erzählte, dass sie im Rahmen eines Rekrutenaustausches hier bei den »Froschfressern« seien. »Wir sind Scharfschützen, oder wollen es werden. Aber erstmal müssen wir diese schwule Sprache lernen, und wie man seinem Offizier die Hand küsst. Geh mir bloß weg. Wenn ich gewusst hätte, was die für einen Aufriss um das tägliche Leben machen ... Stimmt’s, Kalle?«
    Sein Bruder, der sogar im Sitzen schwankte, verzog das Gesicht. »Oui, mon Capitain. Jeder soll akkurat die gleiche Schulkladde haben. Die Stiefel werden nicht nur eingecremt, sondern auch noch poliert, und der Salat kommt vor dem Braten. Ich meine, wir trinken Kaffee schwarz, und fertig. Aber hier gibt’s immer Kaffee mit irgendei’m Trallala. Und den Käse kannst du auch vergessen. Da riechen meine Socken besser. Wohlsein!«
    Beide tranken den Côte du Rhône, den Dinah uns eingeschenkt hatte, wie Wasser. Adrian nippte nur davon. Die Mütze unter einer Schulterklappe seines Hemds, ritzte er mit dem Daumennagel Ornamente in das Papiertuch auf dem Tisch, Paisley-Muster, und plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob er sich überhaupt etwas aus Frauen machte. Traumhaft lange Wimpern hatte er und einen Mund, wie man ihn bei Männern selten sieht. »Bist du auch Scharfschütze?«, fragte ich, woraufhin seine Kameraden lachten. Es klang ein bisschen dreckig, und Dinah musterte ihn kalt.
    »Der ist Schafschütze!«, sagte Ben und goss sich Wein nach. »Der trifft nichts, was kleiner als ’ne Heidschnucke ist. Wenn der an den Stand geht, springen alle in’n Graben!«
    Adrian grinste verlegen und sah mich an, als bäte er für seine Kumpel um Verzeihung. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass er in einer Kaserne lebte, und auch ein Stahlhelm auf seinem Kopf war kaum denkbar. Er hielt das Glas am Stiel. Aber scharf ist er trotzdem, hätte ich am liebsten gesagt, traute mich jedoch nicht. Wenn ich jemanden mag, bin ich oft wie gelähmt und kriege den Mund so lange nicht auf, bis er glaubt, ich finde ihn unsympathisch.
    Schließlich gab ich mir einen Ruck. »In meiner Kindheit hatte ich auch mal eine Waffe«, sagte ich. »Ein Geschenk meines Vaters, aus dem Laden an der Ecke. Liese, meine kleine Schwester, kriegte eine Barbie-Puppe und ich einen schwarzen Colt. Mir gefielen die Intarsien, dieses Perlmutt. Und ich mochte die winzigen runden Schachteln für die Munition so gern.«
    Die Zwillinge flüsterten miteinander. Im Papstpalast schlug eine Glocke, und Dinah, die meistens gelangweilt tat, wenn sie einmal zuhören sollte, hielt sich die Uhr ans Ohr. Dabei war es ein geräuschloses Quarzding vom Grabbeltisch, im Vorübergehen stibitzt.
    Aber ich sprach weiter. »Er wog kaum etwas, dieser Revolver, Plastik eben, Made in China, und mein Vater feuerte ein paar Probeschüsse ab. Für meine kleinen Hände war der Kolben allerdings zu dick. Ich hatte Mühe, mit
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