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Sex ist verboten (German Edition)

Sex ist verboten (German Edition)

Titel: Sex ist verboten (German Edition)
Autoren: Tim Parks
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SEX IST VERBOTEN
    SEX IST IM DASGUPTA-INSTITUT VERBOTEN . Das ist einer der großen Pluspunkte, wenn man hier arbeitet. Natürlich bin ich eine freiwillige Helferin und werde nicht bezahlt, ich meine also nicht
wirklich
arbeiten. Offiziell heißt es, ich leiste Dhamma-Service. Harper sagt, es ist ungewöhnlich, dass jemand bei mehr als drei oder vier Retreats hintereinander Service leistet. Was einleuchtet. Die Eltern schicken einen nicht in die Schule, damit man dann sein Leben lang umsonst kocht und putzt. Sie sind ehrgeizig, sie haben Pläne für ihre Kinder. Zu enttäuschen fällt schwer.
    Alle, die hier beim Service mithelfen, sind jung, oder halbwegs jung, jedenfalls befinden sie sich in einer Übergangsphase. Wenn man es sich recht überlegt, befinden sich die Menschen vermutlich ständig in einer Art Übergangsphase, anders geht es gar nicht. Aber Sie wissen schon, was ich meine. Ferienjobs, Überbrückungsjahre. Manchmal frage ich mich, zwischen was ich mich gerade befinde. Es sollte eigentlich ziemlich einfach sein, zu sagen, was hinter einem liegt, wie man hierhergekommen ist und so. Die meisten Leute sorgen sich eher um die Zukunft. Aber je länger ich im Dasgupta-Institut bin, desto unsicherer werde ich im Hinblick darauf, was vorher passiert ist. In der ersten Zeit hier, als ich dasaß und zu meditieren versuchte, dröhnte die Vergangenheit unaufhörlich in meinem Kopf. Dasgeht jedem so. Man setzt sich hin, macht die Augen zu, und die Gedanken fangen an zu bellen wie aufgebrachte Hunde. So war es auch bei mir, und ich habe es nicht vergessen. Ich weiß nur neuerdings nicht mehr so ganz, worauf es eigentlich hinauslief. Vielleicht haben sich die alten Gedanken durch das ständige Herumwirbeln abgenutzt. Die Qual hat nachgelassen. Vielleicht befinde ich mich hier im Dasgupta-Institut in Wirklichkeit gar nicht zwischen zwei Sachen. Vielleicht ist es gar kein Übergang, vielleicht werde ich für immer hierbleiben, oder das Dasgupta-Institut wird in mir bleiben, selbst wenn ich weggehe.
    Heute Morgen war ich faul. Der Gong ertönt um vier. Die Helfer brauchen das Frühstück erst um sechs Uhr zu machen, deshalb nehme ich die ersten anderthalb Stunden meist an der Meditation teil und gehe, wenn der Gesang anfängt. Das ist eindeutig die beste Zeit des Tages. Warum? Ich weiß nicht genau. Nichts tut weh vor der Dämmerung. Man geht im Dunkeln zur Meditationshalle. Die Morgenluft ist weich, alles ist feucht und taugetränkt, und es ist ganz still. Wenn man zu den Ersten gehört, sieht man Kaninchen auf dem Rasen. Sterne stehen am Himmel; die Sterne hier sind sehr hell. Man fröstelt. Alle tragen Fleecepullover mit Kapuzen und sehen aus wie Mönche oder Gespenster. Irgendwie wirkt alles gespenstisch und wie in der Schwebe. In der Meditationshalle wird man von seinen Kissen und Decken begrüßt. Das Licht ist gedämpft. Man schließt die Augen und hört zu, wie die anderen hereinkommen, wie sie schniefen und hüsteln und herumwuseln. Das kann einen wahnsinnig machen. Eine Stimme erhebt sich im Kopf: He, ich bin nicht zu dieser nachtschlafenden Zeit aufgestanden, um mir euer Gehuste und Gefurze anzuhören, verdammt noch mal. Ich kriege genug Gestank ab, wenn ich die Klos putze. Dann wird einem klar, dass diese Geräusche etwas Anheimelndes haben. Sie beschützeneinen. Das ist eigenartig. Man wird wahnsinnig, weil jemand sich ständig die Nase putzt, und gleichzeitig fühlt man sich dadurch beschützt und beschämt. Diese Person hat viel aufgegeben, um ins Dasgupta-Institut zu kommen und zu versuchen, ihr Leben zu ändern. Woher nimmst du das Recht, sie zu kritisieren? Am Ende tut es gut, beschämt zu sein und sich zu sagen: Hör auf, über das Geschniefe dieser armen Frau zu schimpfen, Beth Marriot. Du hast ja keine Ahnung, was für einen Mist sie womöglich gerade durchmacht oder in welchen schlimmen Geschichten sie gerade steckt.
    Also finde ich mich mit dem Husten und Schniefen ab. Ich akzeptiere es, so wie ein Jucken oder einen Krampf, oder das Kratzen der Krähen auf dem Fertigdach. Die Krähen können ganz schön viel Krach machen. Ich liebe die Morgensitzung. Sie ist die beste. Aber heute war ich faul. Ich bin nicht aufgestanden, als der Gong ertönte. Anscheinend verändert sich gerade etwas.
Anicca.
Spür die Veränderung.
Ahniikaaa, Ahniikaaaa, Ahniikaaaa, Ahniikaaaa.
Ich mag die Art, wie Mi Nu dieses Wort mit ihrer asiatischen Singsang-Stimme sagt. Spür das Pulsieren in deinen Handgelenken, Beth, spür
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