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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
Autoren: Bianka Minte-König
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lles begann im Jahre 1989, als ein gewisser Günter Schabowski – vermutlich irrtümlich und etwas abrupt – die deutsche Teilung beendete, indem er auf die Frage eines Pressevertreters nach dem Inkrafttreten des neuen Reisegesetzes der DDR stammelte: »… unverzüglich …«
    Er löste eine Welle sofortiger Grenzübertritte aus, in deren kollektivem Freudentaumel sich meine Mutter schwängern ließ. Zudem bewirkte er, was wohl gesellschaftspolitisch das wichtigere Ereignis sein dürfte, letztlich die Auflösung der DDR. Dadurch wiederum fiel Jahrzehnte später das Gut Blankensee zurück an meine Familie.
    Wenn man es also genau nimmt, hatte ich dem Zusammenbruch der DDR sowohl mein Leben als auch die Chance zu verdanken, nun Gutsbesitzerin zu werden.
    Ich gestehe, dass ich den Namen Blankensee noch nie gehört hatte und ein Gut in Ostdeutschland nichts war, was ich dringend gebraucht hätte.
    Da gab es wirklich Dinge, die mir wichtiger waren: meine Abschlussprüfung an der Schauspielschule und ein anschließendes Engagement an einem Theater zum Beispiel, und natürlich die Suche nach einem neuen Mitbewohner für meine WG. Männlich sollte er sein und attraktiv und unbedingt Single!
    Ein Gut in der Mark Brandenburg war, weiß Gott, nicht vorgesehen. Aber es fiel mir dennoch sozusagen in den Schoß. Dank sei Schabowski!
     
    In den Semesterferien war ich für ein paar Tage bei meiner Mutter zu Besuch in Potsdam. Sie hatte sich an diesem herrlichen Sommertag Urlaub genommen und fuhr mit mir schon am frühen Morgen mit dem Fahrrad an den Jungfernsee.
    Wir machten auf einer Wiese in der Nähe des Cecilienhofes ein kleines Picknick, tranken Kaffee aus der Thermosflasche und genossen frische Croissants vom Bäcker. Es war herrlich und wir waren beide sehr fröhlich.
    »Siehst du«, sagte ich. »Es war doch eine gute Entscheidung, die Schule abzubrechen und die Schauspielausbildung zu beginnen. Wo die mich schon mal haben wollten. Wer weiß, ob ich nach dem Abi die Aufnahmeprüfung überhaupt noch geschafft hätte. Ich bin zwar immer noch eine der jüngsten Studentinnen, aber dafür studiere ich nun auch schon in der Abschlussklasse.«
    Meine Mutter lächelte und das kostete sie gewiss Überwindung. Sie war nämlich gar nicht damit einverstanden gewesen, dass ich mit sechzehn die Schule verlassen hatte.
    »Du siehst, wie es mir ergeht«, hatte sie immer wieder betont. »Mit einem höheren Abschluss hätte ich gewiss eine bessere Stellung und wir müssten nicht in allem so sparsam sein.«
    Aber mit dem Argument konnte sie mich nicht von meinen Plänen abbringen. Ich hatte heimlich an mehreren Schauspielschulen vorgesprochen, und als ich in Berlin angenommen wurde, stand es außer Frage, dass ich diese Chance ergreifen würde. Gegen den Willen meiner Mutter suchte ich mir eine WG in Kreuzberg und zog in Unfrieden mit sechzehn aus. Mit Nebenjobs und Bafög kam ich über die Runden und nach einem Jahr Funkstille zwischen uns stand meine Mutter plötzlich am Tag der offenen Tür in der Schauspielschule. Sie war gerührt, mich so »gereift« zu sehen, und ich war gerührt, dass sie von sich aus den Weg zu mir gefunden hatte. Wir fuhren ins KaDeWe, gönnten uns einen Versöhnungssekt und versprachen, uns nie wieder derartig zu streiten. Sie hatte mein Zimmer in Potsdamunberührt gelassen, und so nutzte ich von da an öfter die Gelegenheit, mich aus der WG dahin abzusetzen, wenn ich mal dringend Ruhe brauchte. Außerdem liebte ich Potsdam mit seinen herrlichen Parks und Seen und nahm von dort immer eine ordentliche Portion frische Energie mit in die Kreuzberger Häuserschluchten.
    »Es ist schön, wieder hier zu sein«, sagte ich und streckte mich lang im Gras aus. »Das Semester war ziemlich anstrengend.«
    Meine Mutter seufzte. Ihr Job im Hotel sicher auch.
    Als wir gegen Mittag zurückfuhren und die Räder weggesperrt hatten, lag zwischen der Post, die ich aus dem Kasten nahm, ein nicht besonders spektakulär wirkender Brief einer Berliner Anwaltskanzlei.
    »Graf & Hambach, kennst du die?«, fragte ich meine Mutter.
    »Das kann nichts Gutes sein«, unkte sie sogleich und bat mich, ihn aufzumachen. Er enthielt die nüchterne Mitteilung des Notars Dr. Hambach, dass sich seine Kanzlei darauf spezialisiert habe, enteignete Immobilien in der ehemaligen DDR an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzuführen. Man sei in den Grundbüchern des Gutes Blankensee auf die Eintragung eines Nießbrauches gestoßen und man habe als einzige
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