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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
Autoren: Bianka Minte-König
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ich bei meinen wohlhabenden Mitschülern nicht mithalten. Deren Eltern waren Ärzte und Anwälte und häufig auch noch Doppelverdiener, weil die Mütter ebenfalls irgendeinen lukrativen Job ausübten, also mindestens Lehrerin oder Chefsekretärin waren.
    Na ja, das lag ja nun schon ein paar Jahre zurück. Was war das für ein Triumph gewesen, als ich an der Schauspielschule angenommen wurde und diese ganze hochnäsige Clique mit einem Lachen hinter mir lassen konnte! Ich war ja so froh, dass ich im sechsten Anlauf einen der heiß begehrten Studienplätze ergattern konnte. Mit »Antigone« hatte es schließlich geklappt und mit einem Song von Friedrich Hollaender aus den Zwanzigerjahren:
    Meen Vater machte mir zum Wunderkinde.
    Für’n Rummelplatz und für’n Verjnüjungspark …
    Ich hatte ihn für einen Musikabend der Schule mit meiner wirklich großartigen Musiklehrerin einstudiert, die mir riet, es naiv und rührend zu interpretieren, es aber doch auch mit einem kessen Schuss Berliner Schnauze vorzutragen. Was mir ehrlich gesagt bei dem Text nicht schwerfiel.
    Auf eenem Drahtseil stehe ick und schieße
    aus meenem Vaters Mund een hohles Ei.
    Vorjestern hatte ick erfrorne Fieße,
    da schoss ick Vaters Nasenbeen entzwei
    - hoppla!«
    Damit überzeugte ich offenbar am meisten, denn dem Schauspiellehrer in der Auswahlkommission hatte meinfrecher Berliner Gassenjargon so gut gefallen, dass er meinte, das sei »eins plus Sternchen« gewesen.
    Dennoch hatten mich die vielen Absagen sehr deprimiert, und ich hätte nicht geglaubt, dass es doch noch etwas werden würde. Ich war darum erst einmal fassungslos, als schließlich mein Name fiel. Dann aber hätte ich in meinem grenzenlosen Glück die ganze Welt umarmen können.
    Aber es war hart, da machte ich mir gar nichts vor. Selbst wenn ich die Abschlussprüfung schaffte, hieß das noch lange nicht, dass ich auch gleich ein Engagement an einem Theater bekommen würde.
    Da wäre es doch gar nicht schlecht, so ein Gut in der Hinterhand zu haben. Ich als Gutsbesitzerin … großartig!
    So wollte ich die Sache mit dem Gut also nicht so einfach aufgeben und fragte meine Mutter darum noch einmal: »Es kostet doch nichts, es sich wenigstens einmal anzusehen? Könnten wir nicht …?«
    Aber erneut schüttelte sie den Kopf und fiel mir sogar ins Wort. Diesmal glaubte ich regelrechte Panik in ihrem Blick zu erkennen. »Ich weiß, du meinst es gut, Louisa. Aber du verbindest damit romantische Vorstellungen, die mit der Realität wenig zu tun haben. Es … es gibt viele Gründe, das Erbe nicht anzutreten … Ich möchte darüber jetzt im Einzelnen nicht sprechen … Aber einer davon ist, dass wir uns eine solche Liegenschaft einfach nicht leisten können. Nein, Liebes, schlag dir den Gedanken aus dem Kopf. Ich werde diesen Anwälten abschreiben.«
    Sie streckte die Hand nach dem Brief aus, der zwischen meinen Fingern plötzlich festzukleben schien, so als wollte er sich dagegen wehren, dass ich ihn meiner Mutter zurückgab. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, als würde eine körperlose Stimme zu mir sprechen und eindringlich flüsterndsagen: »Komm zu mir, komm nach Blankensee … Ich warte dort auf dich …«
    Es war eine warme Stimme, eine männliche Stimme, und ihr Klang berührte mein Herz. Schemenhaft tauchte die Gestalt eines attraktiven Mannes vor meinem inneren Auge auf.
    Was hatte er mit dem Gut Blankensee zu tun?, fragte ich mich verwirrt. Und weil ich diese Fragen nicht beantworten konnte, behielt ich den Brief und sagte: »Ich erledige das für dich, Mam. Ich denke, ein Anruf genügt.«
     
    In dieser Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum.
    Ich ging durch einen langen dunklen Flur, auf dessen Steinboden meine Schritte unheimlich hallten. Vor einer Mauer blieb ich stehen … gefangen in einer Sackgasse. Ich wollte mich soeben panisch umdrehen, als sich die Mauer, wie von Geisterhand bewegt, zur Seite schob und ich in einem luxuriösen Schlafraum stand. Die Raummitte nahm ein Himmelbett ein, dessen Vorhänge zugezogen waren. Ihr zarter Stoff ließ jedoch auf dem Lager die Umrisse einer Gestalt erkennen. Eine unerklärliche Sehnsucht ergriff mich und ich verspürte den unwiderstehlichen Drang, an das Bett zu treten und den Vorhang fortzuziehen, um zu sehen, wer da schlief.
    »Erwecke mich …«, drang eine sanfte, warme Männerstimme an mein Ohr.
    Doch als ich einen Schritt auf das Himmelbett zu machte, zog eine Art Rauch oder Nebel vor meinen Augen auf und verhüllte
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