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Sex ist verboten (German Edition)

Sex ist verboten (German Edition)

Titel: Sex ist verboten (German Edition)
Autoren: Tim Parks
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Brust hob und senkte sich.
    »Erzähl mir davon«, bat er. »Ich dachte, du hättest genug.«
    Seine Stimme war ruhig.
    »Erzähl’s mir.«
    »Ach, ich werde einfach einiges vermissen.« Ich wartete, bis meine Stimme sich stabilisiert hatte. »Zum Beispiel die Kaninchen im Morgentau, ehe es hell wird. Oder mit geschlossenen Augen auf meiner Matte zu sitzen, während die Leute kommen und gehen.«
    »Und den Gong.«
    »Den Gong. Sorry, bieg nach der Ampel rechts ab, und dann ist es einen halben Block weiter, auf der linken Seite. Nummer achtunddreißig.«
    »Hier?«
    »Genau. Pass auf die Temposchwelle auf.«
    »Alles klar.«
    Ich dachte nach, seufzte und biss mir auf die Lippe. »Am meisten werde ich allerdings ein bestimmtes Gefühl vermissen, das ich dort immer hatte, nämlich dass es vielleicht« – ich war mir nicht sicher, wie ich es formulieren sollte – »na ja, dass es vielleicht möglich sein könnte,
nicht zu leben,
falls du verstehst, was ich meine. Verstehst du? Nicht leben zu müssen. So wie Mi Nu, wenn sie sich ihr Tuch um die Schultern schlägt, sich auf ihr Kissen setzt und einfach nur da ist. Der Gedanke, dass man nichts sein könnte, aber auf eine schöne Art, für immer. Dann bliebe man verschont.«
    »Lisa!« Er hielt an und stellte den Motor ab. Er schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Tja«, sagte ich lachend. »Ich schreibe Songs, musst du wissen. Ich bin tiefgründig. Noch eine letzte Zigarette?«
    »Warum nicht?«
    Er reichte mir die Schachtel und drückte den Anzünder hinein. Beim ersten Zug hatte ich das todsichere Gefühl, dass es meine letzte sein würde. Lisa ist keine Raucherin.
    Er steckte sich auch eine an.
    »Jetzt muss ich meiner Mutter gegenübertreten und ihr erklären, wo ich die ganze Zeit gewesen bin. Dann sind vermutlich die E-Mails dran, Facebook. Ich werde die ganze Nacht auf sein.«
    Er schaute mit gerunzelter Stirn durch die Windschutzscheibe nach draußen. »Keine weiteren Küsse.«
    »Küsse, Küsse, nicht meine Küsse.«
    »Willst du meine Handynummer haben?«
    »Nein.«
    »Kluge Entscheidung.«
    »Du liebst deinen Schmerz zu sehr, Mr. Tagebuchschreiber.«
    »Genau.« Er schüttelte den Kopf. »Ohne Sex keine Geschichte.«
    »Ohne Freude kein Schmerz.«
    Er lächelte. »Der zehnte Tag ist um, meine Freunde. Sie haben den Rest Ihres Lebens zum Arbeiten.«
    »Danke fürs Mitnehmen, Geoff.«

ANICCA
    DAS IST ZWEI JAHRE HER . Ich übertreibe, achtzehn Monate. Ein bisschen länger. Ich studiere jetzt in Manchester Psychologie, teile mir eine Wohnung in der Nähe der Oxford Road und singe jeden Freitag in einem Pub. Nur ich und noch ein Mädchen, ohne Band. Ich habe einen ziemlich netten Freund. Sehr nett sogar. Ich habe vor, ihn zu verlassen, kurz bevor er mich verlässt.
Anicca.
Das universelle Gesetz der Unbeständigkeit. Morgens meditiere ich eine Stunde, sofern ich am Abend vorher nicht zu viel getrunken habe. Ich versuche, die Meditation ernst zu nehmen, ssehr aufmerksam zu sein, ssehr achtsam. Und immer, wenn etwas außer Kontrolle zu geraten droht, dann helfen mir Dasgupta-Gedanken dabei, die Ruhe zu bewahren. Zumindest halbwegs. Eines Tages werde ich dorthin zurückkehren, sage ich mir und fühle mich gleich viel besser. Ich werde zurückkehren, und die Videos werden noch dieselben sein, der Gesang wird noch derselbe sein.
Buddham saranam gacchami.
Die Stille. Mi Nu. Mi Nu wird immer da sein. Ein wunderbarer Gedanke. Von Mr. Geoffrey Hall habe ich nichts gehört. Null. Philippe ist tot. Unterdessen hat der Anthropologie-Professor ein Auge auf mich geworfen. Auf Teile von mir. Er hat eine schöne Stimme und ein durchtriebenes Lächeln. Abwarten. Manchmal frage ich mich, ob ich wohl auch den alten Dasgupta persönlich hätte verführen können, wenn wir uns je begegnet wären.
    Vielleicht in einem anderen Leben.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    © der deutschen Ausgabe: Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2012
© der Originalausgabe: © Tim Parks 2012
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Server« bei
Harvill Secker/Random House, London 2012
Umschlaggestaltung: Michel Keller, München, unter Verwendung
eines Fotos von LAIF
eBook-Produktion: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH
ISBN 978-3-88897-773-2
ISBN eBook: 978-3-88897-800-5
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