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Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Titel: Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
Autoren: Barry Eisler
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    HARRY GLITT durch das Menschengewimmel der morgendlichen Rushhour wie eine Haifischflosse durchs Wasser. Ich folgte ihm in zwanzig Metern Abstand auf der anderen Straßenseite, schwitzend wie alle anderen in dieser für den Oktober in Tokio untypischen Hitze, und staunte, wie gut der Junge umsetzte, was ich ihm beigebracht hatte. Beweglich wie Quecksilber nutzte er die kleinste Lücke, bevor sie sich wieder schließen konnte, und wich jedem drohenden Engpass rechtzeitig aus. Die Veränderungen in Harrys Rhythmus vollzogen sich so fließend, dass niemand merken konnte, wie er seine Schritte beschleunigte, um den Abstand zu unserer Zielperson zu verringern, die sich jetzt beinahe auffällig schnell die Dogenzaka hinunter auf den Bahnhof Shibuya zubewegte.
    Die Zielperson hieß Kawamura Yasuhiro. Der Mann war ein Karrierebürokrat der Liberaldemokratischen Partei (LDP), der politischen Kraft, die Japan seit dem Krieg nahezu ununterbrochen regiert. Er bekleidete das Amt eines stellvertretenden Ministers für Land und Infrastruktur im Kokudokotsusho, dem Nachfolger des alten Ministeriums für Wohnungsbau und Verkehr. Und offensichtlich hatte er etwas getan, das jemand anderen schwer gekränkt hatte, denn schwere Kränkungen sind der einzige Grund, weshalb meine Klienten mich anrufen.
    Ich hörte Harrys Stimme im Ohr. «Er geht in die Obsthandlung Higashimura. Ich gehe noch ein paar Schritte weiter und warte dann.» Wir hatten jeder einen in Dänemark hergestellten mikroprozessorgesteuerten Empfänger im Gehörgang stecken, den man dort nur mit einer Taschenlampe würde finden können. Einen etwa gleich kleinen Sender trägt man unter dem Revers. Die Signale werden im Burst-Transmission-Verfahren im UHF-Bereich übertragen und sind daher nur sehr schwer abzuhören, wenn man nicht genau weiß, wonach man sucht, und für den Fall, dass es doch mal jemandem gelingt, sind sie zusätzlich durch einen Scramble-Code verschlüsselt. Dank dieser Ausrüstung mussten wir nicht ständig in Sichtkontakt bleiben und konnten noch eine Weile weitergehen, wenn die Zielperson stehen blieb oder die Richtung änderte. Ich wusste also, dass Kawamura in den Laden gegangen war, obwohl ich es selbst nicht hatte sehen können, weil ich dafür zu weit hinter ihm war, und konnte noch ein gutes Stück weitergehen, bevor ich stehen bleiben musste, um meine Position hinter ihm beizubehalten. Soloüberwachung ist schwierig, und ich war froh, Harry dabeizuhaben.
    Etwa zwanzig Meter vor dem Higashimura betrat ich einen zur Straße hin offenen Drugstore, wie sie auf der Dogenzaka zuhauf zu finden sind. Sie bedienen die japanische Sucht nach Allheilmitteln und Bakterienbekämpfung. Vor der Kasse warteten mehrere Sarariman in grauen Anzügen – Büroangestellte, die Gesichter angespannt, billige Aktentaschen an müden Händen baumelnd -, um sich für einen weiteren austauschbaren Tag in der Tretmühle ihrer Firma zu stärken. Hinter ihnen zwei junge Mädchen mit leeren Gesichtern, das Haar stahlwollenspröde durch die Mittel, mit denen sie es orange färbten, die Nase mit großen Ringen gepierct, die Kleider eine demonstrative Ablehnung des herkömmlichen Weges, den die vor ihnen stehenden Sarariman eingeschlagen hatten, aber ohne Hinweis darauf, welcher ihr Weg war. Und ein grauhaariger Rentner mit schlaffer Haut, aber seltsam lebendigem Gesicht, der wahrscheinlich in Shibuya war, um von einem der hier sattsam angebotenen sexuellen Dienste Gebrauch zu machen, wofür er von einem Konto bezahlen würde, das er vor seiner Frau geheim hielt, ohne zu ahnen, dass sie längst Bescheid wusste und es ihr völlig gleichgültig war.
    Ich wollte Kawamura etwa drei Minuten Zeit lassen, um sein Obst zu kaufen, ehe ich wieder nach draußen trat. Also nahm ich das Verbandsmullangebot in Augenschein, über das hinweg ich auf die Straße blicken konnte. Dass er urplötzlich in dem Laden verschwunden war, sah ganz danach aus, als wolle er herausfinden, ob er beschattet wurde, und das gefiel mir nicht. Wenn Harry und ich keinen Funkkontakt gehabt hätten, wäre Harry gezwungen gewesen, abrupt stehen zu bleiben, um seine Position hinter der Zielperson beizubehalten. Er hätte dann irgendetwas Lächerliches tun müssen, zum Beispiel sich den Schuh zubinden oder ein Straßenschild lesen, und Kawamura, der vermutlich aus dem Eingang des Geschäftes hinausspähte, hätte ihn entdecken können. Stattdessen, so wusste ich, würde Harry einfach an dem Obstladen vorbeigehen, etwa
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