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Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben
Autoren: Lois Duncan
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sein.«
    »Ich fürchte, Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben«, entgegnete Vamp und lächelte entschuldigend. »Ich werde die Tür verbarrikadieren müssen, und nur Schränke haben Türen, die sich nach außen öffnen.«
    Er schloss uns in den begehbaren Kleiderschrank im Zimmer meiner Eltern ein. Als wir hörten, wie die Kommode vor die Tür geschoben wurde, zischte Lorelei: »Du hättest ihm niemals sagen dürfen, dass du unter Klaustrophobie leidest. Diesem Monster bereitet es Vergnügen, andere Menschen leiden zu lassen.«
    »Ich weiß«, flüsterte ich. »Genau darauf habe ich spekuliert.«

ACHTZEHN
    Ich tastete nach der Kordel, mit der man das Schranklicht anmachte. Es dauerte eine Weile, bis ich sie gefunden hatte, und einen Moment lang dachte ich schon, dass sie vielleicht abgerissen war oder sich von der Halterung an der Decke gelöst hatte. Doch dann streifte ihr Ende plötzlich meine Hand wie eine Spinnwebe und ich griff zu und zog daran.
    Nur wenige Zentimeter von mir entfernt erschien das Gesicht meiner Großmutter. »Wovon redest du?«, fragte sie ruhig, obwohl ihr die Angst und Erschöpfung deutlich anzusehen waren. »Warum wolltest du, dass er uns in den Schrank einsperrt?«
    »Weil die Schränke in diesem Haus so etwas wie Notausstiege haben«, antwortete ich und deutete nach oben, wo ein rechteckiges Stück Sperrholz in die Decke eingelassen war.
    »Verstehe«, murmelte sie. »Eine Falltür zum Dachboden. Aber was bringt es dir, wenn du dort hochsteigst? Du kommst doch nur von einem Gefängnis ins nächste.«
    »In Brams Schrank gibt es auch so eine Tür«, sagte ich. »Wenn ich vom Dachboden in sein Zimmer hinunterklettere, schaffe ich es vielleicht, aus dem Haus zu fliehen und Hilfe zu holen.«
    »Und wie willst du da hochkommen?«, fragte Lorelei zweifelnd. »Hier gibt es nichts, was du als Trittleiter benutzen könntest, und mit meinem Arm kann ich dir nicht helfen.«
    »Das Hochkommen ist nicht das Problem«, sagte ich. »Der Teil, der mir Sorgen macht, ist die Frage, wie ich wieder runterkomme.«
    Ich schaute mich im Schrank um und mein Blick blieb an der Kleiderstange hängen. Sie war fest in der Wand verankert und wirkte stabil genug, um mich zu tragen. Ich nahm eine von Dads Hosen vom Bügel und hängte sie so über die Stange, dass ich die Beine unten miteinander verknoten und als eine Art Steigbügel benutzen konnte. Dann stellte ich meinen Fuß hinein, hielt mich seitlich an den Regalfächern fest und zog mich langsam hoch, bis ich mit den Schultern die Falltür über mir berührte. Als ich dagegendrückte, ließ sie sich mühelos öffnen, und schon ein paar Sekunden später stemmte ich mich durch die Luke auf den Dachboden.
    Feuchte Hitze und der stechende Geruch überreifer Bananen und ranziger Erdnussbutter schlugen mir entgegen. Durch die offene Falltür strömte so viel Licht von unten herauf, dass meine Sicht ungefähr zwei Meter weit reichte, aber dahinter war es stockdunkel.
    »Alles in Ordnung?«, hörte ich Lorelei leise rufen.
    »Es ist nicht so viel Platz, wie ich gehofft hatte. Ich dachte, es wäre ein richtiger Dachboden, auf dem man stehen kann, aber das hier ist eher so was wie ein Zwischenboden. Jetzt verstehe ich, warum Bram und seine Freunde so gern dort gespielt haben.«
    Ich starrte in die Dunkelheit und versuchte, mich zurechtzufinden. Grundsätzlich wusste ich natürlich, in welcher Richtung das Zimmer meines Bruders lag, aber ohne irgendeine Orientierungshilfe war es schwer, die Entfernung abzuschätzen. Hinzu kam, dass der Boden aus langen schmalen Brettern bestand, die mit dünnen Sperrholzplatten verbunden waren, und die wirkten so instabil, dass ich Angst hatte, sie könnten unter meinem Gewicht zersplittern. Mir kam es fast wie ein Wunder vor, dass die Jungs beim Spielen hier nicht schon längst einmal durch die Decke gekracht und auf unseren Köpfen gelandet waren.
    Ich holte tief Luft, betete, dass das dünne Holz mich tragen würde, und begann, mich so leise wie möglich auf allen vieren Zentimeter für Zentimeter über die Planken zu schieben. Dabei versuchte ich, mir die Anordnung der Zimmer unter mir vorzustellen – das Schlafzimmer meiner Eltern, das Bad und Jasons Zimmer –, und fragte mich, wo Vamp sich wohl gerade aufhielt. Ich tippte auf das Wohnzimmer, weil er von den Fenstern dort die Einfahrt im Blick hatte und sofort mitbekam, wenn sich ein Wagen näherte.
    Als ich die Mitte des Dachbodens erreicht hatte, konnte ich mich aufrichten,
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