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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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wenigstens einige Stunden vergessen zu können. Er bat seine Mutter, ihm einen Kaffee einzuschenken, ließ sich mitten auf der weitläufigen Terrasse nieder, den sanft geschwungenen Lauf des Rheins vor Augen.
    Der Tag hatte früh, vor sieben Uhr schon begonnen. Ann-Katrin, erst kurz vor Mitternacht von ihrem Einsatz in Backnang nach Hause zurückgekehrt, war zur Frühschicht in Waiblingen eingeteilt, die Kreistagssitzung, in der es um die Zukunft des Backnanger Krankenhauses ging, vor eventuellen Übergriffen aufgebrachter Bürger zu beschützen.
    »Sie brauchen jede Person«, hatte sie erklärt. »Du schaust bei Mama vorbei?«
    Er war ihrem Wunsch nachgekommen, schon allein deswegen, weil Theresa am Vorabend Hals über Kopf nach Tübingen zurückgefahren war, hatte fast zwei Stunden bei Irene Räuber verbracht, dabei zum ersten Mal eine zaghafte Reaktion der Schwerkranken auf seine Anwesenheit bemerkt. Er war an ihr Bett getreten, hatte zu ihr gesprochen und sie sanft gestreichelt, dabei überrascht wahrgenommen, wie sie aufgeregt ihren Kopf hin und her warf – immer dann, wenn seine Stimme zu hören war.
    »Das könnte ein erstes Anzeichen sein, dass vom temporären Blutversorgungsausfall nur teilweise geschädigte Teile des Gehirns reaktiviert werden und sie deshalb unbewusst eine ihr vertraute Stimme wiedererkennt«, hatte ihm Dr. Kammerer bestätigt, dem er kurz darauf über den Weg gelaufen war. »Reden Sie mit ihr, bleiben Sie in Kontakt, das ist unsere einzige Chance.«
    Braig hatte weiter auf Irene Räuber eingesprochen, war dann gegen zehn Uhr ins Büro aufgebrochen, nicht ohne unterwegs Ann-Katrin und Theresa von den Fortschritten ihrer Mutter zu unterrichten.
    »Das ist wunderbar«, hatte Theresa geantwortet, »ich lasse meine Vorlesung ausfallen und fahre ins Krankenhaus.«
    Sie hatten ihren Streit vom Vorabend nicht erwähnt, waren in gewohnter Freundlichkeit miteinander umgegangen.
    Wenige Minuten später, vor dem Eingang zum LKA, war er Helmut Rössle begegnet. Der Techniker hatte sich eifrig die Hände gerieben, dann hämisch gegrinst. »Alle Idiote von Sindelfinge, der Herr Oberstaatsanwalt! Das Geld isch weg und koiner woiß wo na. Und i bin scho mindestens fünf Jahr nemmer von Esslinge nach Stette gfahre, du etwa?«
    Braig hatte unwillkürlich lachen müssen, dem Techniker dann seine Zustimmung signalisiert.
    »S´isch höchste Zeit, dass der Halbdackel oine in d’Gosche kriagt.«
    Kurz vor elf, Braig war gerade damit beschäftigt, den Ablauf seiner Ermittlungen vom Vortag zu protokollieren, hatte ihn der Anruf aus Göppingen wieder in die Realität zurückgeführt. »Sven Demski hat gestanden«, hatte Hauptkommissar Frank, mit dem er vor ein paar Tagen schon telefoniert hatte, erklärt, »wir müssen alle Beschuldigungen gegen Johannes Wangbiehler zurücknehmen.«
    »Was gestanden?«, hatte Braig gefragt.
    »Er war es, der am Sonntagmittag das Kind auf dem Fahrrad anfuhr.«
    »Aber das kann doch nicht sein«, Braig war entsetzt, »mein Kollege und ich haben doch eindeutig geklärt, dass dieser Unfall in die Verantwortung Johannes Wangbiehlers fällt.«
    »Demski hat sich heute Morgen selbst angezeigt. Wir müssen unsere Untersuchung gegen Wangbiehler fallen lassen, so Leid es mir tut.«
    »Aber das ist doch getürkt. Der alte Wangbiehler hat seinen Sohn freigekauft!«
    »Sie haben Recht«, hatte Frank erwidert, »das ist auch für mich die einzige Erklärung. Er hat ihm so viel gezahlt, dass Demski dafür sogar ins Gefängnis geht. Aber wie soll ich das beweisen? Sagen Sie mir, wie?«
    Braig war vor Wut aufgesprungen, hatte den Telefonhörer auf den Apparat gedonnert. Konnte es wahr sein? Durfte sich der neureiche Unternehmer alles erlauben? Er hatte Wangbiehlers süffisantes Grinsen vor sich, seine beiläufige Bemerkung, als er ihm vorgeworfen hatte, dass die Kollegen gegen seinen Sohn ermittelten: »Das ist Schnee von gestern. Sie sind offensichtlich nicht auf dem neuesten Stand.«
    Nein, er, Braig, war nicht auf dem neuesten Stand. Das waren andere, die über Leichen gingen, um sich ihre Vorteile zu sichern und ihren egomanischen Lebensstil nicht einschränken zu müssen. Johannes Wangbiehler hatte mit seiner Raserei wieder einmal einen Menschen schwer verletzt und würde frei davonkommen – das war die Realität in diesem Land. Und sein Vater, ein ehrenwerter Industrieller, erpresste Politiker und die Bevölkerung einer ganzen Region mit der Drohung, seinen Betrieb ins Ausland zu
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