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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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Rechnete man für die Anfahrt vom Ort der Kontrolle zur Waiblinger Schwaneninsel zehn bis zwölf Minuten, kam er genau auf die von Neundorf angegebene Zeit. Oder hatte sie sich damit vertan? Er zögerte, erinnerte sich, dass sie sich nicht absolut sicher gewesen war.
    Braig lief zu seinem Computer, schaltete ihn ein, suchte den Bericht zur Geldübergabe.
Zeitpunkt der Polizeikontrolle: 8.59 – 9.01 Uhr
. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Der Termin stimmte. Er starrte auf den Bildschirm, konnte nichts mehr erkennen. Vor seinen Augen zerflossen die Buchstaben ins Nichts. Gab es noch Zweifel? Konnte das wirklich wahr sein? Die Polizeikontrolle, die Rössle und er wenige Minuten oder gar Sekunden vor dem Geldfahrzeug passiert hatten, war identisch mit der kriminellen Organisation, die die Millionen an sich gerissen hatte. Und er hatte eine der beteiligten Personen erkannt. Die junge Frau, die sich in Tübingen mit Theresa Räuber unterhalten hatte.
    Er spürte, wie er vor Aufregung am ganzen Leib zitterte, lief unruhig vor seinem Schreibtisch hin und her. Nur langsam wurde ihm bewusst, welch ungeheuren Verdacht er damit äußerte. War es wirklich möglich, dass es sich um dieselbe Frau handelte, die er bei Theresa angetroffen hatte, konnte es nicht sein, dass er sich täuschte, dass die angebliche Polizistin ihr nur verblüffend ähnlich sah? Er setzte sich auf den Stuhl, legte den Kopf in seine Hände, stützte sich mit den Ellbogen auf seinem Schreibtisch ab. Hatte er sie überhaupt richtig erkannt? Er versuchte, sich den entscheidenden Moment vom Morgen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Sie fuhren langsam auf die angeblichen Kollegen zu, bremsten ab, hatten sie unmittelbar vor sich, er die Frau rechts, Rössle den Mann links und dann, für den Bruchteil einer Sekunde, schauten sie einander ins Gesicht. Es handelte sich wirklich nur um einen kurzen Augenblick, weil sie ihren Kopf fast im gleichen Moment noch von ihm abwandte und nach hinten blickte, Rössle zudem sofort wieder beschleunigte. Ihre Augen waren hinter einer großen Sonnenbrille verborgen, die Haare von der Mütze verdeckt. Hatte er sie wirklich erkannt?
    Braig schrak auf, weil sein Telefon läutete. Ann-Katrin war am anderen Ende. Er hörte Stimmen, lautes Rufen, hatte Mühe, sie zu verstehen.
    »Du bist noch im Amt?«, fragte sie.
    »Ein langer Tag«, antwortete er, »aber wir haben die Morde geklärt.«
    »Oh, das ist gut. Das freut mich für dich. Wer sind die Täter?«
    Er versuchte, ihr einen kurzen Überblick über seine Ermittlungen zu geben, hörte den Lärm am anderen Ende der Leitung.
    »Es tut mir Leid«, fiel sie ihm ins Wort, »ich kann dich kaum verstehen.«
    »Wo bist du?«
    »In Backnang. Sie demonstrieren heute bis in die Nacht.«
    »Immer noch das Krankenhaus?«
    »Morgen früh findet die Abstimmung im Kreistag statt. Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, dass es geschlossen und in einer anderen Stadt durch einen doppelt so großen Betonkomplex ersetzt wird.«
    »Gibt es Probleme?«
    »Nein«, sagte sie, »die sind friedlich.«
    »Du musst trotzdem noch bleiben?«
    »Es sieht so aus, ja. Kannst du noch bei Mama vorbeischauen? Theresa ist immer noch bei ihr. Es geht ihr unverändert schlecht.«
    Er hörte, wie der Lärm erneut anschwoll, versprach, ins Katharinenhospital zu gehen, beendete das Gespräch. Er spürte seinen Magen, fühlte sich müde und ausgelaugt. Die detaillierten Aufzeichnungen über seine heutigen Ermittlungen konnte er auch noch am folgenden Tag zu Papier bringen. Er schaute auf seine Uhr, erschrak. Kurz nach halb acht. Kein Wunder, dass er sich so verausgabt fühlte.
    Braig schaltete den Computer aus, verließ sein Büro. Als er auf die Straße trat, nahm er überrascht den heftigen Wind wahr, der die Zweige der Bäume hin und her schüttelte und Blätter und Schmutz durch die Luft wirbelte. Er hüllte sich in seine Jacke, weil es immer noch bitter kalt war, folgte der Wörishofener, dann der Decker Straße zum Cannstatter Bahnhof. Er betrat die Halle durch den Nebeneingang unmittelbar an der Sparda-Bank, passierte den Friseur, holte sich beim Bäcker eine Pizzaschnitte. Die Läden waren kaum noch frequentiert, nur wenige Passanten eilten durch die Halle. Braig aß die Pizza, lief zur S-Bahn hoch, nahm den nächsten Zug zum Hauptbahnhof. In der Klett-Passage ging es noch weit lebendiger zu, Menschen aus allen Richtungen eilten zur Stadtbahn und zu den Zügen. Er nahm die Treppe zur Kriegsbergstraße,
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