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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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ansteigenden Hänge des Naturschutzgebiets gebetteten Bärensee.

2. Kapitel
    Venedig. Die traumhaft schönen Tage mit Ann-Katrin in der Lagunenstadt sollten Steffen Braig noch lange in Erinnerung bleiben. Seine längst überfällige Beförderung zum Hauptkommissar des Stuttgarter Landeskriminalamtes und ihre – den Aussagen der Ärzte zufolge – endgültige Genesung von den jahrelangen Malaisen ihrer Schussverletzung zum Anlass nehmend, hatten sie sich acht Tage inmitten der verwinkelten Gassen und Kanäle des norditalienischen Paradieses gegönnt. Das kleine Hotel, ein typischer Adelspalast aus dem 14. Jahrhundert, lag am beschaulichen
Campo San Barnaba
, etwas abseits vom Hauptstrom der Touristen, ausgestattet mit allem, was einem alten venezianischen Palazzo seinen faszinierend morbiden Charakter verlieh: schiefe Wände, knarzende Treppen, infolge der hohen Luftfeuchtigkeit abblätternde Farben an Wänden und Decken.
    Vom ersten Augenblick an vom Zauber der Stadt gefangen, von der Anmut der allein den Menschen und Tieren vorbehaltenen Wege und Plätze betört, hatten sie sich dem Flair eines neuen, bisher völlig unbekannten Lebensgefühls hingegeben: Bummeln, Spazieren, Betrachten, Verweilen – wann und wo immer sie wollten. Nirgendwo heulende Motoren oder in unmittelbarer Nähe quietschende Bremsen, kein nervtötendes Gehupe oder unwirtliche, von Lärm und Hektik erfüllte Straßenschluchten, stattdessen Ruhe, beschauliche Atmosphäre, saubere, von Abgasschwaden freie Luft. Sie folgten dem Gassenlabyrinth entlang abgelegener Kanäle, spazierten über unzählige schmale Brücken, rasteten auf lauschigen Plätzen, schlürften Capuccino in winzigen Cafés. Den großen Touristenströmen ausweichend streiften sie durch die menschenleeren, oft nur von spielenden Kindern oder friedlich vor sich hin dösenden Alten belebten Straßenzüge in Cannaregio oder Castello oder nutzten eines der Vaporetti, um über das Wasser der Lagune Murano, Burano oder Torcello zu erreichen – jedes Eiland ein Paradies für sich.
    Und dann die Rückkehr nach Stuttgart. Der Kontrast hätte nicht schärfer, nicht ernüchternder ausfallen können. Durch Unmengen von Autos verstopfte Straßen, dröhnende Motoren, nervtötendes Hupen, Stress und Hektik in jedem Winkel der Stadt. Schon die erste Nacht in seiner Wohnung in der Hermannstraße in der Stuttgarter Innenstadt wurde zum schlaflosen Albtraum. Anfahrende, hupende, bremsende Blechkarossen, der ewig gleiche Lärmpegel von der nahe gelegenen Rotebühlstraße her – Braig fühlte sich im wahrsten Sinn des Wortes gerädert, als sein Wecker kurz vor sieben läutete.
    Müde richtete er sich auf, sah, dass Ann-Katrin noch im tiefen Schlummer lag. Sie hatte noch einen Tag Urlaub; daher schälte er sich vorsichtig unter der Decke hervor, duschte und zog sich an. Er schnitt sich zwei Scheiben von dem Brotlaib ab, den sie am Abend zuvor, unmittelbar nach der Ankunft im Hauptbahnhof gekauft hatten, belegte sie mit zwei dünnen Scheiben Käse, trank zwei Tassen grünen Tee. Als er sein kurzes Frühstück beendet hatte, schrieb er seiner Freundin ein paar Zeilen auf weißes Papier, umrahmte sie mit einem großen Herz und ließ das Blatt mitten auf dem Tisch liegen.
    Die Stuttgarter Innenstadt empfing ihn mit dem gewohnten unwirtlichen Bild: Blechlawinen, wohin er nur blickte.
    Braig eilte die paar Meter zur S-Bahn-Station
Feuersee
, versuchte, sich von der Hektik nicht anstecken zu lassen. Er passierte zwei trotz des frühen Morgens bereits alkoholisierte Männer, sah die Schlagzeilen des Boulevardblattes, das der eine in Händen hielt.
Erpresser fordern 100 Millionen. Polizei gründet Sonderkommission
. Er folgte den Stufen in die Tiefe, wusste, worum es ging. Katrin Neundorf, seine Kollegin, hatte ihm den Sachverhalt auf den Anrufbeantworter gesprochen, ihn vor den aufreibenden Aktivitäten im Landeskriminalamt gewarnt. Big Brother und der Flughafen würden erpresst, hatte sie erklärt, Koch sei auf Zweihundert und stelle die gesamte Umgebung auf den Kopf. Er habe die Ermittlungen an sich gerissen. Auf den Hintergrund der Erpressung war sie nicht eingegangen, allein die Tatsache aber, dass Koch den Fall übernommen hatte, verhieß nichts Gutes. Der Name des Oberstaatsanwaltes weckte in Braig unliebsame Erinnerungen. Er hatte mehrfach mit ihm zu tun gehabt, zuletzt bei der Aufklärung des gewaltsamen Todes zweier junger Frauen in Waiblingen und Ludwigsburg, war dabei ebenso wie seine Kolleginnen
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