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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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verlagern, sollten sie nicht bereit sein, eine zusätzliche Asphaltpiste in diese schon halb zubetonierte Landschaft zu pflastern.
    Nur mühsam hatte er wieder zu seiner Arbeit zurückgefunden, war dann kurz nach vierzehn Uhr von Ann-Katrin über den Ausgang der Kreistagssitzung in Waiblingen informiert worden.
    »Das Krankenhaus wird geschlossen«, hatte sie ihm mitgeteilt, »und durch einen doppelt so großen Neubau in Winnenden ersetzt.«
    »Wie bitte?« Er hatte es nicht glauben wollen, hatte den Telefonhörer an sein Ohr gepresst und seine Frage mehrfach wiederholt. »Das Krankenhaus in Backnang, für dessen Erhalt mehrere Tausend Menschen tagelang gekämpft haben? Sie wollen keinen weiter entfernten anonymen Megakomplex, du hast es selbst erzählt. Das meinst du nicht ernst. Du täuschst dich, hast das Ergebnis nicht richtig mitbekommen.«
    »Nein«, erwiderte sie, »ich täusche mich nicht. Was glaubst du, warum die Leute hier auf den Straßen so verbittert aussehen? Das Krankenhaus wird geschlossen. Stattdessen wird für mehrere Hundert Millionen der Neubau eines Großklinikums in Winnenden erstellt. Das liegt doch im Trend: In Backnang das Krankenhaus, auf den Fildern die Messe und in Stuttgart ein milliardenschwerer unterirdischer Hauptbahnhof. Und alles aus Steuergeldern, aber gegen den Willen der Bevölkerung.« Sie hatte ihm für die Feier in Mannheim einen schönen Abend gewünscht, ihm dann mitgeteilt, dass sie den Rest des Tages am Bett ihrer Mutter verbringen werde.
    Braig hatte alles stehen und liegen lassen, war nach Hause geeilt, hatte sich umgezogen, dann im Hauptbahnhof den nächsten Zug genommen.
    »Du hast die Papageien gesehen?«
    Er erwachte aus seinen Gedanken, sah seine Mutter vor sich stehen, eine Tasse Kaffee in der Hand.
    »Welche Papageien?«, fragte er.
    »Hier. Diese Vogelschwärme.«
    Er stand auf, spazierte ein paar Schritte von der Terrasse des Restaurants weg, betrachtete die Bäume, die locker aufgereiht über die Wiesen am Rheinufer verteilt waren. Auf ihren Zweigen und Ästen herrschte reges Leben, grellgrüne Vögel hüpften hin und her, schwangen sich in die Luft, landeten im Gras. Er näherte sich einem der Bäume, hörte das ungewohnt schrille Gezwitscher, lautes Kreischen und Trällern, das er von den Vogelhäusern der Wilhelma her kannte, starrte verwundert in die Höhe.
    »Lustig, was?«, meinte seine Mutter.
    Ein Schwarm der seltsamen Tiere landete unmittelbar vor ihnen im Gras, pickte an den Überresten eines morschen Astes herum. Es waren Papageien, er sah es jetzt deutlich, grellgrüne, mit langem Schwanzgefieder geschmückte Papageien, wie er sie bisher nur in der Wilhelma oder auf Bildern aus exotischen Ländern gesehen hatte. Sie hüpften aufgeregt vor ihm hin und her, erhoben sich dann kreischend wieder in die Luft.
    »Wo kommen die her?«, fragte er verwirrt. »Das ist doch freies Gelände.« Er schaute von Baum zu Baum, sah die Vielzahl der bunten Tiere, begann zu zählen, kam irgendwann, weit jenseits der Hundert, durcheinander.
    »Sie sind fremd hier«, sagte Dr. Ohlrogge, »das ist nicht zu übersehen.« Sie war auf ihn zugetreten, zeigte auf die Papageien. »Nur Fremde starren ihnen so nach«, erklärte sie, »die Einheimischen haben sich längst an sie gewöhnt.«
    »Es sind Papageien?«, wollte er wissen. »Richtige Papageien?«
    Dr. Claudia Ohlroge nickte. »Richtige Papageien, ja.«
    »Wie kommen die hierher? Die benötigen doch tropische Klimate.«
    »Das ist richtig, ja. Aber genau das finden sie bei uns, annähernd tropische Klimabedingungen. Vor über zehn Jahren beschädigte ein Sturm im Luisenpark am anderen Ende Mannheims eine Voliere. Eine Hand voll dieser Papageien konnte entkommen. Man dachte, die seien verloren. Die harten Winter, kühle Herbstwochen und so. Wie Sie sehen, leben sie noch. Und es geht ihnen offensichtlich gut. Sie finden sie in allen Grünanlagen Mannheims, aber auch längst über dem Rhein in Ludwigshafen und der Pfalz, genauso in Heidelberg. Naturschützer schätzen ihre Zahl inzwischen auf mehrere Tausend. Dass es ihnen so gut geht, haben sie nicht nur der Rheinebene zu verdanken, der wärmsten Region Deutschlands. Vor zwei Jahrzehnten hätten die Tiere auch hier keine Chance gehabt, im Freien zu überleben. Nein, unser Klima hat sich verändert. So vehement, dass heute schon Tausende von Papageien die anderen Vögel verdrängen. Oder sehen Sie hier eine Meise oder einen Specht?«
    Braig schaute in die Höhe, sah das
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