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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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folgte ihr zum Krankenhaus.
    Die Luft stank nach Abgasen, Autos jagten trotz der späten Stunde mehrspurig an ihm vorbei. Braig passierte die Stelle, an der er am Vortag den Jungen auf den Gehweg zurückgerissen hatte, sah das Plakat nur wenige Meter entfernt.
Stuttgart, die kinderfreundliche Stadt
. Er glaubte, nicht richtig zu lesen. Von Lügnern und Heuchlern hatte er für heute genug.
    Der Fahrtwind der Autos wirbelte Schmutz in die Luft, ließ eine leere Zigarettenschachtel auf seine Brust prallen. Er klopfte sich den Schmutz von der Jacke, packte das Plakat am rechten Rand, riss es mitten durch. Eines der vorbeirasenden Autos hupte. Er nahm das Papier an sich, knüllte es zusammen, lief weiter.
Stutt
verkündete das Plakat jetzt. Wenigstens eine Lüge weniger auf der Welt, überlegte er.
    Er warf das Papier in den Abfallbehälter im Atrium des Krankenhauses, folgte der breiten Treppe nach oben, lief die Gänge entlang, bis er den Bereich der Intensivstation erreicht hatte. Theresa Räuber saß auf einem der hellen Stühle, den Kopf nach vorne gebeugt, in Gedanken versunken. Sie sah erst auf, als Braig unmittelbar vor ihr stand.
    »Hallo«, sagte er, »wie geht es ihr?«
    Sie richtete sich langsam auf, schüttelte den Kopf. »Unverändert. Ich konnte es nicht länger ertragen, musste von ihrem Bett weg.«
    »Sie reagiert immer noch nicht?«
    »Nein. Auch nicht, wenn ich ihr ins Ohr flüstere oder sie streichle, wie Dr. Kammerer hoffte. Es sieht nicht gut aus.«
    »Du hast noch mal mit ihm geredet?«
    »Er wollte es sich nicht anmerken lassen, aber er war selbst enttäuscht. Er konnte es nicht überspielen.«
    Braig wusste nicht, was er noch sagen sollte, zeigte auf die Tür zur Intensivstation. Sie nickte nur unmerklich mit dem Kopf, ließ ihn gehen. Er sprach bei der Schwester in der kleinen Kabine vor, die dort mehrere Monitore überwachte, betrat in deren Begleitung den grell erleuchteten Raum.
    Irene Räuber lag ruhig atmend in ihrem Bett, an unzählige Schläuche und Kanülen gekettet, umgeben vom leisen Tackern und rhythmischen Pumpen verschiedener Apparaturen. Braig begrüßte sie, als wäre sie bei vollem Bewusstsein, strich ihr sanft über die Stirn, genau wie der Arzt es empfohlen hatte. Sie ließ es ohne jede Reaktion über sich ergehen, atmete leise weiter, im gleichen Rhythmus wie vorher. Braig sah, wie die Schwester nach draußen zeigte, nickte, folgte ihr auf den Gang. Theresa wartete mit müden Augen auf einem der Stühle.
    »Wie lange willst du bleiben?«, fragte er, schaute auf seine Uhr, »es ist kurz nach halb neun.«
    Sie schaute ihn nachdenklich an, sprang dann auf. »Gehen wir«, antwortete sie, »ich muss an die frische Luft.«
    Sie verließen das Krankenhaus, beschlossen, zu Fuß zu seiner Wohnung zu laufen. Es waren kaum fünfzehn Minuten. Sie überquerten die Kriegsbergstraße, nahmen den Weg durch den Stadtgarten an den Gebäuden der Universität vorbei. Einzelne Studenten eilten ihnen entgegen.
    »Du hattest viel zu tun?«, fragte Theresa Räuber. »Erzähle von deiner Arbeit, ich muss mich ablenken.«
    »Du glaubst, das ist das Richtige in deiner Situation?«
    »Solange ich nicht an Mama denken muss, ist alles richtig.«
    Er spürte ihre angespannte Verfassung, berichtete von seinen Ermittlungen.
    »Die alte Frau erschoss ihren eigenen Sohn?«, wunderte sich Theresa Räuber.
    »Sie wollte ihn nur dazu bringen, zu seinen Taten zu stehen.«
    »Das kann ich nachvollziehen«, meinte sie, »sie ist eine starke Frau.«
    Sie passierten die Liederhalle, kamen zum Berliner Platz, blieben an der Überführung stehen, weil die Ampel Rot zeigte.
    »Und wie sieht es mit den Forderungen der Erpresser aus?«, fragte sie. »Dass sie mit den Morden nichts zu tun haben, ist jetzt ja eindeutig geklärt.«
    Braig wandte sich zur Seite, warf ihr einen kritischen Blick zu. »Das Geld wurde übergeben, hast du es nicht gehört? Heute Morgen.«
    Sie schaute ihn überrascht an, schüttelte den Kopf. »Einhundertmillionen?«
    »Die Hälfte«, antwortete er.
    »Wie ist es gelaufen?«
    Braig sah, wie die Ampel auf Grün sprang, beeilte sich, die Straße zu überqueren. Mehrere Autos warteten ungeduldig auf die Weiterfahrt. Er berichtete ihr vom Ablauf des Geschehens, kam auf die angebliche Polizeikontrolle zu sprechen.
    »Und ihr wisst nicht, um wen es sich bei den falschen Beamten handelt?«
    »Nein. Die Fahnder waren alle darauf programmiert, dass die Geldübergabe am Ziel der Fahrt stattfinden würde. Kein
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