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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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getan, alle paar Wochen sogar und es habe ihnen großen Spaß gemacht und sie solle sich nicht so zieren, die Weiber wollten es doch so und ihnen hätte es genauso gefallen. Wissen Sie, was das für mich bedeutete? Mein eigener Sohn machte sich über die Gewalt lustig, die er anderen Frauen angetan hatte, und ich saß dabei und hörte wehrlos zu.« Sie atmete heftig, sprang aus ihrem Sessel. »Ich war siebzehn, als der Krieg aus war und die Franzosen kamen, siebzehn, und ich habe es bis heute nicht vergessen, was sie mir angetan haben, träume heute noch in schlechten Nächten davon, heute, fast sechzig Jahre später. Ich weiß, wovon Swetlana sprach, war selber kaum älter als ihre Schwester. Und dann schreit mein eigener Sohn diese Lügen daher ...« Sie lief zum Fenster, starrte nach draußen, drehte sich wieder um. »Und plötzlich hatte er einen Zettel in der Hand, aus dem Handschuhfach, und dann schrieb er dort auf diesem Parkplatz den Satz:
Ich bin das erste Schwein, das büßen muss
, hielt ihn mir vors Gesicht und schrie uns an, ob wir jetzt zufrieden seien, wo er alles zugegeben und unsere Vorwürfe sogar schriftlich bestätigt habe. Und dann raste er wie ein Verrückter los und kreischte die ganze Zeit, er habe unser Weibergewäsch und unser Gejammere satt und würde uns jetzt ebenfalls im Meer der Tränen ertränken. Er wiederholte es immer wieder und ich verstand überhaupt nicht, was er wollte, sah nur, wie er um eine Ecke jagte an einer engen Absperrung vorbei und dann mitten durch den Wald. Er schrie und schimpfte und plötzlich sahen wir Wasser im Scheinwerferlicht. Er hielt an, deutete nach vorne und lachte wie ein Teufel. Er war nicht mein Sohn in dem Moment, ich kannte ihn nicht mehr. Da werdet ihr jetzt in eurem Meer der Tränen ersaufen, schrie er und ich schaue euch zu. Und dann merkte ich, wie er die Tür öffnen und aussteigen wollte und drückte ab.«
    Braig starrte Emilie Herzog in die Augen. »Sie ... selbst ...«
    Sie trat auf ihn zu, ließ sich in den Sessel fallen. »Meinen Sohn«, hauchte sie, »ja.«
    Er wusste nicht, wie lange sie so einander gegenübersaßen, wurde irgendwann durch das Läuten der Türglocke aufgeschreckt. Braig schaute auf, nahm jetzt erst wahr, dass ihm die Kollegen nicht in die Wohnung gefolgt waren, stolperte zur Tür, betätigte den Öffner. Das Summen war deutlich zu vernehmen. Er hörte, wie jemand die Treppe hochkam, öffnete die Tür. Die junge Frau, die vor ihm stand, war bildhübsch. Ohne sie jemals vorher gesehen zu haben, wusste er sofort, wen er vor sich hatte. Ihre Ähnlichkeit mit dem Mädchen auf den Fotos war verblüffend.

22. Kapitel
    Kurz nach 19 Uhr hatten sie die Aussagen der beiden Frauen vollständig protokolliert. Braig hatte Emilie Herzog und Swetlana Camiszewicz sowie ihren vor dem Haus wartenden Anwalt gebeten, ins Amt mitzukommen, hatte von Fellbach aus noch Neundorf informiert und nach einer Dolmetscherin verlangt, weil die junge Polin die deutsche Sprache nur bruchstückhaft beherrschte. Gegen siebzehn Uhr hatten Neundorf und er bei Kaffee und Keksen mit ihrer Befragung begonnen, in einer zuerst verkrampften, dann jedoch zunehmend aufgelockerten Atmosphäre. Die junge Frau – anfangs angesichts der unverhofften Konfrontation mit Polizeibeamten in einem Zustand schockbedingter Sprachlähmung – hatte sich mehr und mehr aus ihrer Erstarrung gelöst. Besonders die in äußerst freundlichem Ton vorgetragenen Einwürfe Neundorfs, sie bäte dringend um ihre Mitarbeit, um das verbrecherische Verhalten verschiedener Männer in Polen aufklären zu können, hatten Swetlana Camiszewiczs Anspannung nachhaltig gelöst. Unter den bedächtig formulierten und ruhig geäußerten Worten der Kommissarin war sie nach und nach dazu übergegangen, sich all das von der Seele zu reden, was sie in den letzten Monaten so belastet hatte und was schließlich auch zum Auslöser ihres Besuches in Deutschland geworden war.
    Die junge Frau bestätigte die Darstellung Emilie Herzogs, wie es zum Tod deren Sohnes gekommen war, in vollem Umfang. Niemand habe die Absicht gehabt, Karl Herzog zu töten, der Schuss sei in der größten Not gefallen, als die beiden Frauen um ihr eigenes Leben fürchteten, weil Herzog offen zu erkennen gab, dass er sie mitsamt dem Auto im Wasser des Bärensees versenken wollte. Nach dem Schuss hatten sie mehrere Minuten gebraucht zu begreifen, was geschehen war. Wie in Trance sei die alte Frau ausgestiegen, während Swetlana – der Tote
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